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Merkels Schmerzversprechen
Am letzten Tag der Koalitionsverhandlungen verlangte die Kanzlerin Opfer von allen Seiten
»Schmerzhafte Kompromisse« würden nun zum Schluss allen Verhandlungsseiten abverlangt. Mit diesem freundlichen Anstoß ermunterte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Vertreter der CDU, CSU und SPD zu Beginn des Tages, endlich den Sack zu und den Koalitionsvertrag unterschriftsbereit zu machen. Wo im Einzelnen der Schmerz und die Schmerzbereitschaft anzusiedeln waren, drang nicht aus der CDU-Parteizentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus. Aber dass vor allem viele Menschen in Deutschland vom Ergebnis der Verhandlungen betroffen sein würden, womöglich schmerzlich, das stand schon fest. Denn noch immer ging es zum Schluss um die zwei verbliebenen Hauptstreitfragen, die schon seit Tagen unerledigt liegen geblieben waren. Das waren einerseits die Verbesserungen für gesetzlich Versicherte, die die SPD erreichen will und die über eine Angleichung der Ärztehonorare bei der Behandlung von privat und von gesetzlich versicherten Patienten erreicht werden sollte. Und andererseits die Beendigung der sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse, bei denen Arbeitnehmer von einem prekären Vertrag in den nächsten geschoben werden.
Beide Punkte waren Kernanliegen der SPD-Seite, weil diese vom jüngsten Parteitag mit der Auflage in die Koalitionsverhandlungen geschickt worden war, die in der Sondierungsvereinbarung als unerledigt betrachteten Anliegen nachzuliefern - gemeinsam mit dem Familiennachzug für Flüchtlinge mit beschränktem Schutzstatus. Darüber konnten die Sozialdemokraten im Verhandlungsteam nicht hinweggehen, schon deshalb, weil ein Mitgliederentscheid über das Verhandlungsergebnis befinden soll. Das Votum der Mitgliedermehrheit wird für die SPD verbindlich sein.
Am Dienstagabend, 18.00 Uhr, endete die von der Parteiführung festgelegte Frist, bis zu der neu eingetretene Mitglieder registriert sein mussten, um an der Abstimmung teilnehmen zu können. 443 152 Sozialdemokraten waren zum Jahreswechsel bundesweit registriert. Tausende sind inzwischen dazugekommen. Ein Grund ist die NoGroKo-Kampagne der Gegner einer neuen großen Koalition in der SPD, die mit der ausdrücklichen Aufforderung um neue Mitglieder warb: »Tritt ein, sag nein!«.
Ein weiteres mögliches Hindernis trat am Dienstag zutage - Anträge gegen den Mitgliederentscheid vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses prüfe die Zulässigkeit des Entscheids, bestätigte ein Gerichtssprecher in Karlsruhe. Einem Bericht der »Rheinischen Post« zufolge wurden Zweifel geltend gemacht, ob sich die Mitgliederbefragung mit der Freiheit der Abgeordneten und den Grundsätzen der repräsentativen Demokratie vereinbaren lässt. Die Frage, ob Abgeordnete, die sich bekanntlich auf ihr freies Mandat nebst Freiheit ihres Gewissens berufen können, auf das Ergebnis eines solchen Entscheids festgelegt werden dürfen, hatte das Gericht bereits 2013 aus gleichem Anlass beantworten müssen. Es wies den Antrag damals mit der Begründung zurück, die Entscheidungsfreiheit der Bundestagsabgeordneten sei durch das Votum der SPD-Mitglieder nicht beeinträchtigt. Eine Verfassungsbeschwerde sei gar nicht erst zulässig, weil es sich bei dem Mitgliederentscheid nicht um einen staatlichen Akt handele. Den Parteien aber stehe eine interne Willensbildung nach eigenem Verfahren zu. Nunmehr liegen fünf Anträge von Einzelpersonen gegen die Befragung vor; vier davon mit einer Verfassungsbeschwerde. Einer sei bereits abgelehnt worden.
Ungeachtet dessen richteten sich die Verhandler auf eine lange Nacht ein. Neben den genannten Hauptstreitpunkten gab es offenbar weitere Unstimmigkeiten. Unter den bis zuletzt offenen Streitfragen tauchten unter anderem von der SPD gewollte Zuschüsse für haushaltsnahe Dienstleistungen auf, mit denen die Bundesregierung die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen soll, oder auch ein verpflichtendes Lobby-Register - eine alte Forderung nicht nur der Mitte-Links-Parteien, sondern auch von Bürgerrechtsorganisationen, die die Einflussnahme von Teilen der Wirtschaft auf die Politik transparent machen und in der Folge beenden soll. Auch der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bot noch Anlass für Disput - die Union wollte ihn verbieten, die SPD gestatten, um die Versorgung vor allem im ländlichen Raum zu gewährleisten.
Geeinigt haben sich Union und SPD auf einen kontrollierten Abschuss von Wölfen. Der Bund werde mit den Ländern und der Wissenschaft geeignete Kriterien dafür erarbeiten, wurde mitgeteilt. Und einig waren sich die Unterhändler aller Seiten am Dienstag auch darüber, dass es heute »etwas werden« müsse mit dem Koalitionsvertrag. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich bereit, bei der geforderten Schmerzbereitschaft im Interesse von Kompromissen voranzugehen. Sie sei dazu bereit, »wenn wir sicherstellen können, dass die Vorteile zum Schluss die Nachteile überwiegen«. Mit Agenturen
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