Mehrheit für friedliches Zusammenleben
Landespolitik reagiert auf aufgeheizte Flüchtlingsdebatte - Ministerpräsident will am 15. Februar in Cottbus reden
Am 15. Februar wollen Politiker bei einer Demonstration in Cottbus ein Zeichen für Weltoffenheit setzen. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kündigte am Donnerstag in Potsdam an, er wolle dort auch als Redner auftreten. Cottbus sei eine offene Stadt mit einer starken und modernen Gesellschaft. «Wir lassen uns diesen Ruf von Cottbus nicht kaputtmachen», sagte Woidke. Nach Angaben der SPD soll es einen gemeinsamen Aufruf von SPD, LINKE, Grüne und CDU zur Kundgebung geben.
«Für ein friedliches Zusammenleben im ganzen Land Brandenburg» heißt der Entschließungsantrag, den der Landtag nach emotional geführter Debatte vor Wochenfrist angenommen hatte und der zur weiteren Beratung in die Ausschüsse weitergeleitet wurde. In dem Papier wird nicht zuletzt auf die «besonderen Integrationsherausforderungen», vor die sich Cottbus gestellt sieht, regagiert und der Stadt Unterstützung zugesagt.
In der Debatte, die vor dem Hintergrund einer angeheizten Situation in Cottbus aber auch in anderen Orten des Landes stattfand, hatte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) der CDU an den bestehenden Integrationsfonds, das Förderprogramm zur Stärkung der Schulsozialarbeit und die Mitfinanzierung von 100 Stellen erinnert. Im vergangenen Jahr habe das Land den Kreisen und kreisfreien Städten Kosten für die Migrationssozialarbeit in Höhe von 24,6 Millionen Euro erstattet. Für weitere zusätzliche 250 Stellen stünden 16 Millionen jährlich bereit. Das Ziel der Landesregierung bestehe darin, die Integration geflüchteter Menschen als Teil der allgemeinen Angebote und Versorgungsstrukturen auszugestalten. Es solle keine Bevorzugung aber auch keine Benachteiligung gegenüber den angestammten Brandenburgern geben.«
Der Minister stellte klar, dass - entgegen der Darstellung der CDU - auch heute schon die Möglichkeit der Wohnsitzauflage besteht. Mit Ihrer Forderung nach Rückführeinrichtungen ignoriere diese, dass die zentrale Ausländerbehörde seit längerem in dieser Weise tätig ist. Zudem liefen die Planungen für die Neu- beziehungsweise Wiedererrichtung einer Abschiebehafteinrichtung bereits. Nicht die Demonstrationen der jüngsten Zeit sondern die Tatsache, dass Cottbus überdurchschnittlich viele Geflüchtete aufgenommen habe, sei Grund für die Festlegung einer allgemeinen Zuzugssperre gewesen.
Der LINKE-Abgeordnete Matthias Loehr machte auf den Umstand aufmerksam, dass die Stadt Cottbus im vergangenen Jahr nur 26 Personen laut Schlüssel hätte aufnehmen müssen, aber 270 Personen freiwillig aufgenommen habe. Schon vor einem Jahr habe die Frage im Raum gestanden, ob keine weitere Flüchtlinge mehr nach Cottbus geschickt werden sollten. »Da hat Cottbus gesagt, nein, wir nehmen weiter auf, weil das für uns ein planbarer Zuzug ist.«
Laut Innenminister muss sich Brandenburg angesichts der Zahl beschleunigter Strafverfahren im Bereich der geringfügigen und mittleren Kriminalität - auch im Vergleich zu anderen Bundesländern - nicht verstecken. Wenn es die Umstände gestatten gelte auch in Jugendverfahren grundsätzlich das Beschleunigungsgebot. Es gebe die Möglichkeit der permanenten Videoüberwachung, und in Abstimmung seinen Regelungen, die Polizisten den Einsatz von Körperkameras gestattet. Die Nutzung »intelligenter Videotechnik« werde auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz geprüft.
Daniel Kurth (SPD) verwies darauf, dass sich das Bild vieler Städte in den vergangenen Jahren gewandelt habe. »Gruppen junger Männer, die während des laufenden Asylverfahrens nicht arbeiten dürfen und deshalb zur Untätigkeit verdammt sind, bevölkern die Plätze unserer Städte.« Das sei für viele Bürger ein befremdlicher Anblick. »Aus Fremdheit kann Furcht erwachsen, und aus Furcht vielleicht auch Hass.« Aber: »Wir dürfen nicht zulassen, dass diejenigen, die sich seit Jahren um Integration und ein friedliches Miteinander bemühen, jetzt diskreditiert oder gar bedroht werden.«
»Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die relativ hohe Anzahl von Flüchtlingen eine große Herausforderung für die Stadt Cottbus in Bezug auf Integrationsfähigkeit darstellt«, sagte Hans-Jürgen Scharfenberg (LINKE). Doch er betonte, dass es sich bei Fällen schwerer Ausländerkriminalität um Einzelfälle handelt.
Und die Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnenmacher erinnerte daran, dass Flüchtlinge vor allem Opfer von Kriminalität sind. Die Sicherheitsbehörden hätten wiederholt vor dem Erstarken einer rechtsextremen Szene um Cottbus gewarnt - eine hochgradig gewaltorientierte, unheilvolle Bündelung von Neonazis, Rockern, Angehörigen des Bewachungsgewerbes, der Kampfsportszene, Hassmusik und Fußballhooligans. »Ein Fünftel aller Gewaltstraftaten der politisch rechtextrem motivierten Kriminalität in Brandenburg entfällt auf diese Region«, sagte sie. Mit dpa
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