Aus Arkadien in die Welt

Der griechisch-französische Regisseur und Drehbuchautor Costa-Gavras wird 85

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Leere ist jenes einzige Versprechen, das vom Leben eingehalten wird. Freundlicherweise tarnt es sich mit Masken, die wir Sinn und Fülle nennen. Maskenbildner ist der Tod. Manchmal hat er keine Lust auf Schminke. In »Amen«, der Verfilmung des »Stellvertreters« von Rolf Hochhuth, schickt Regisseur Costa-Gavras immer wieder einen langen leeren Zug durchs weite Bild. Die Waggontüren offen: Wir sollen sie sehen, die Leere. Die nur vorübergehend ist, der Zug fährt schnell - denn Menschen müssen her, um eine andere, eine barbarische Leere zu tilgen, die der Gaskammern.

Der katholische Pater, der mit gelbem Stern ins KZ geht, weil sein Papst zum Massenmord schweigt - zwischen dem kalten Farbstrom der Speer-Architektur, einem Polarleuchten über den KZs und dem freien Licht Roms hat Costa-Gavras diese Geschichte verfilmt. Mit jener feurigen Kraft, die man von all seinen Werken kennt. Kindlich könnte man dieses Feuer nennen, denn Staunen ist kindlich, und Costa-Gavras staunt sehr: Er kann die Verderbtheit von Mächtigen nicht fassen, und - ob in »Der unsichtbare Aufstand«, »Vermisst«, »Das Geständnis« oder »Music Box« - noch weniger, dass sie so unverblümt blutig durch die Zeiten marschieren. Der Großteil seines Staunens freilich meinte stets den schmerzbereit Revoltierenden, den einsam Rechtsbewussten. Die zornig aufglühenden Gerechten. Die daran verzweifeln, dass Täterbestrafung doch keine verlässliche Gerechtigkeit erzeugt.

»Z«, ein parabolisches Pamphlet gegen die Militärdiktatur in Griechenland, wurde 1968 zum weltberühmten Auftakt seiner Ästhetik. Ob Krisenherde, Flüchtlingsnot, Sozialschlachten, Holocaust, Stalinismus - Costa-Gavras will die Verknüpfung unerträglicher politischer Versumpfungen mit den Bögen individueller Tragödien. Ein Dreier gleichsam zwischen der antimafiotischen Spannung Damiano Damianis, dem Lehrstück Brechts und Hollywood.

Ja, er staunt - bis hin zur Paradoxie: nüchtern zu staunen. Denn sein Metier blieb bei allem Thrill: politische Eindeutigkeit, Bekenntniskultur. Es ist der Versuch einer Ehrenrettung - jener propagandistischen Schärfe, die sich der Vernunft als Beihelfer anbietet. Und seine Filme sind seit jeher Treffpunkte Großer: Jean-Louis Trintignant, Yves Montand, Irène Papas, Simone Signoret, Ulrich Tukur, Jean-Louis Trintignant, Jack Lemmon, Michel Piccoli, auch der unvergesslich zauberzarte Ulrich Mühe. Und im Stab Mikis Theodorakis oder einer der aufrichtigsten, klügsten linken Renegaten, Jorge Semprun.

Als Grieche Konstantínos Gavrás wurde der Regisseur 1933 geboren, der spätere Franzose, der sich Costa-Gavras nannte. Einen schönen Satz hat er gesagt: »Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg kletterten wir in die Bäume, um kostenlos die Freiluftkinos zu genießen.« Wahre Willkommenskultur. Das war noch in Arkadien, seiner Heimat. Die in den Poesien großer Dichter zum Gleichnisort für Harmonie wurde. Zwischen geträumtem Idyll und der Welt kann jener Abstand nicht größer sein, den Costa-Gavras in seinen Filmen zurücklegte. An diesem Montag wird er 85 Jahre alt.

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