Die Beharrliche

Sie personifiziert das Ende einer Ära: Mary Lou McDonald, neue Vorsitzende von Sinn Féin.

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die erste große Aufgabe, die vor Mary Louise »Lou« McDonald liegt, hat es in sich: Das Referendum über ein Ende des strikten irischen Abtreibungsverbotes steht im Frühjahr an. Und Sinn Féin, die traditionell republikanische und gesamtirische Partei, der McDonald seit kurzem vorsteht, macht eine Kampagne für »Repeal«, also die Aufhebung des Verbots. Das ist auch im republikanischen Lager alles andere als unumstritten.

Das weiß die 48-Jährige genau. »Sinn Féin wird sich enthusiastisch für die Aufhebung des Verbots einsetzen«, rief sie den 2000 Delegierten des Sonderparteitages kurz nach ihrer Wahl am 10. Februar zu. Auf den Straßen und an den Haustüren werde man die eigenen Argumente vermitteln. Manche werden diese nicht teilen, auch »Freunde und Parteimitglieder« - und sie respektiere dies, so McDonald. Die Worte waren wohlgewählt und dennoch entschlossen. So sollte es wohl sein, wenn man vermintes Terrain betritt. Denn bislang war die Haltung von Sinn Féin, Abtreibungen nur im Fall von Inzest, Vergewaltigung, bei einem Gesundheitsrisiko für die Schwangere oder einer Missbildung des Fötus zu gestatten.

Dafür ist die am 1. Mai 1969 in der irischen Hauptstadt Dublin geborene Politikerin bekannt: Ein großes Talent darin zu besitzen, sich mit taktisch ausgleichender Beharrlichkeit durchzusetzen. So hat sie sich sicher durch Höhen und Tiefen einer politischen Karriere manövriert - bis an die Spitze ihrer Partei. Ein Tiefpunkt war im Jahr 2009 erreicht, als McDonald aus dem Europäischen Parlament flog, dem sie eine Legislaturperiode angehört hatte, als Teil der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken (GUE/NGL).

Damals kämpfte McDonald, so sehen es viele Wegbegleiter, darum, weiter eine Rolle in der Politik spielen zu können - und verschaffte sich damit wiederum den Respekt ihrer Partei. Für diese zog sie zwei Jahre später bei den Wahlen im Februar 2011 in den Dáil Éireann, das irische Unterhaus, ein. Bei Sinn Féin gilt sie nicht nur als durchsetzungsfähig, sondern auch als eine Politikerin, die trotz ihrer eigenen middle class Herkunft in der Lage ist, Arbeiter anzusprechen. McDonald stammt aus einem wohlhabenden Stadtteil Dublins und besuchte eine katholische Privatschule.

Allerdings: Nicht alle sehen die erwähnte Beharrlichkeit positiv. »Machtbewusst« sei sie gewesen, habe »ohne Rücksicht auf Verluste« agiert und sei dabei politisch profillos gewesen, so ein ehemaliger Mitarbeiter des Europäischen Parlamentes, der mit McDonald zu tun hatte. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Er könnte nicht ganz unrecht haben - in den vergangenen Monaten wurde der Vorwurf einer »Mobbing-Kultur« laut, mehr als ein Dutzend gewählte Sinn-Féin-Vertreter haben die Partei verlassen.

Davon beirren lässt sich McDonald, die in den 1990er Jahren kurzzeitig bei der Konkurrenzpartei Fianna Fáil mitmischte, bislang nicht. Ihre Mission, die Partei zu modernisieren, die katholischen Ultra-Nationalisten in Schach zu halten und Sinn Féin endgültig in den politischen Mainstream zu wuchten, wird sie aber wohl etwas sanfter angehen müssen, als es unter anderen Umständen ihre Art wäre. Doch dass sie die Partei verändern wird, steht fest.

Denn schon ihre Wahl zur Vorsitzenden markiert das Ende einer Ära. Sie tritt das Erbe von Gerry Adams an, der die Partei 35 Jahre führte und es trotz seines Beitrages zum Friedensprozess im Norden nie schaffte, den Verdacht, der IRA angehört zu haben, abzustreifen. McDonald wiederum gehört zu jener Generation irischer Republikaner, die auch familiär von den »Troubles« unbelastet erst nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 - das den Nordirlandkonflikt befriedete - eine Rolle spielten.

Damit ist der Generationenwechsel bei Sinn Féin perfekt. Auch im Norden hat vor gut einem Jahr mit Michelle O’Neill eine Frau der »Nachkriegsära« das Ruder übernommen - von Gerry Adams altem Weggefährten, dem Ex-IRA-Kämpfer Martin McGuinnes, der im März 2017 verstarb. Michelle O’Neill, 41 Jahre alt und Fraktionsvorsitzende Sinn Féins im nordirischen Parlament, ist nun die Stellvertreterin von Mary Lou McDonald beim Parteivorsitz. So läuft das bei Sinn Féin, die das »Gesamtirische« auch parteipolitisch hochhält. Damit sind die beiden Frauen, was früher Adams und McGuinnes waren. Nur eben ganz anders - weiblich, U-50, mit der IRA nichts am Hut, pragmatisch und regierungsorientiert. Dies sei ihr ausdrückliches Ziel, so McDonald auf dem Parteitag: Regieren - und zwar »in beiden Teilen Irlands«. Derzeit ist Sinn Féin in Nordirland zweitstärkste und in Irland drittstärkste Kraft.

McDonald tritt für die Wiedervereinigung ein - natürlich, denn das ist der Markenkern Sinn Féins. Eine harte Grenze als Folge des Brexit lehnt sie strikt ab, wie fast alle Iren. Darüber hinaus ist sie politisch schwer zu fassen: liberal, aber nicht unbedingt links, sozialpolitisch blass, vage in Bezug auf alles, zu dem es keine Parteilinie gibt. Und wo es eine gibt, bereit, sanft an ihr zu rütteln, wenn es der Modernisierung dient - so wie bei der Positionierung zu Abtreibungen. »Ich vertraue Frauen«, sagte McDonald über das anstehende Referendum. Man kauft es ihr ab - schlicht, weil sie so offenkundig auch sich selbst vertraut.

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