Erst denken, dann schenken

  • Volker Surmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Haus entrümpeln start-uppende Hipster gerade ein Ladenlokal. »Dude, what shall we do with all that large, bulky trash? Can we call BSR?«, hörte ich einen Vollbart den anderen fragen. »Easy goin’. Carry it on the sidewalk and place a paperboard ›Zu verschenken‹ on it.« - »That works?« - »Yeah, that’s how you do it in Berlin.« Seitdem stehen ein dreibeiniger Bürostuhl, ein fleckiger Flokati und ein Stapel verschimmelter Umzugskartons vor unserem Haus. Darauf der obligatorische Zettel: »zu ver᠆schenken«.

Es gibt nicht viel, was ich in Berlin vermisse. Außer ein bisschen mehr Natur. Und den Blick in die Weite vielleicht. Und weniger Rollkoffer, weniger Partytouristen, weniger Unverbindlichkeit. Und generell freundlichere Mitmenschen. Aber sonst vermisse ich nichts. Außer einer funktionierenden Sperrmüllabfuhr.

Eine Sperrmüllabfuhr, die man in der Provinzstadt einmal im Jahr anrufen durfte, man bekam einen Termin zugeteilt, und es wurde abgeholt, was abgeholt werden musste - oder was am Abholtermin noch da stand, denn meistens setzte mit dem Rausräumen eine intensive Plunderrochade ein, aber dann war der Haufen weg.

Berlin aber, wo so wenig Menschen wie nirgendwo sonst eigene Pkw besitzen, baut darauf, dass man seinen Sperrmüll selbst zur BSR fährt. Steigen Sie mal mit einem abgeratzten Sofa in die Tram oder ein Taxi! Gerüchten zufolge kann man die BSR zur Sperrmüllabholung auch zu sich nach Hause bestellen. Geht online, kostet 50 Euro aufwärts. Aber: Eine öffentliche Einrichtung in Berlin mit Terminvergabesystem? Da lacht der Berliner nur und malt schon mal das »zu verschenken«-Schild.

Der Bürostuhl und der Flokati schimmelten auch nach drei Wochen noch vor sich hin, und die Hipster gingen vorbei, als ginge es sie nicht an. Ihnen doch egal: Sie haben Berlin ein Geschenk gemacht, selber schuld, wenn Berlin das Geschenk nicht haben will. Aber ein Gehweg ist kein WG-Geburtstag, wo man ungeliebten Hardalk und lieblichen Dornfelder unauffällig entsorgen kann.

Eigentlich mag ich diesen nachbarschaftlichen Tauschhandel auch. Als ich neu in Berlin war, empfand ich ihn als etwas typisch Ostberlinerisches, vielleicht geboren aus der früheren Mangelwirtschaft. Vielleicht auch herbeiromantisiert vom Zugezogenen. Aber ich profitierte davon und »erwarb« so einige praktische Teile meiner Büroeinrichtung.

Heute ist das »zu verschenken«-Schild zu oft bloß die Gute-Gewissen-Plakette, die illegale Müllentsorgung als ökologischen Beitrag zur Ressourcenschonung kaschiert. Dabei wäre alles so einfach, wenn man sich an zwei Regeln hielte: 1. Die Frage »Kann man das noch gebrauchen?« musst du bejahen können, und zwar ohne viel Fantasie. 2. Bedenke, dass »zu verschenken« bloß ein Angebot ist. Wenn die von dir beschenkte Stadt deine Geschenke ausschlägt, und das ist nach zwei Tagen oder dem nächsten Regenguss sicher der Fall, dann kümmere dich von da ab wieder selbst um deinen Scheiß!

Das vermisse ich übrigens an Berlin auch manchmal: weniger Scheißegalhaltung.

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