Der Diesel in der Sprungrevision

Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, ob Fahrverbote rechtlich zulässig sind

  • Friederike Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch im vergangenen Jahr war die Luft in deutschen Städten schlecht. Zwar überschritten laut dem Umweltbundesamt (UBA) nicht mehr ganz so viele Kommunen wie noch 2016 die gesetzlichen Grenzwerte. Dennoch wurde noch in 70 Kommunen der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel überschritten. Die Ursache des Problems ist für das UBA klar: Viele Dieselautos stoßen im Straßenverkehr viel mehr Stickoxide aus als auf dem Prüfstand. Atemnot, Husten, Bronchitis und steigende Anfälligkeit für Atemwegsinfekte können die gesundheitlichen Folgen von hoher Stickoxidbelastung der Luft sein. Laut einer noch unveröffentlichten UBA-Studie, die »Report Mainz« vorliegt, verursachen selbst die niedrige Schadstoffkonzentration in verkehrsarmen Gebieten jährlich 8000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland, vor allem durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Wegen der ständigen Grenzwertüberschreitungen droht Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Die Politik reagierte bisher dennoch nur zögerlich: Auf einem Dieselgipfel im vergangenen Jahr wurden Softwareupdates beschlossen, die die Abschaltung der Abgasreinigung verhindern sollen, und ein Maßnahmeplan für Kommunen. Außerdem gibt es Umtauschprämien für alte Dieselautos. Jetzt aber steht eine höchstrichterliche Entscheidung an, die eine unpopuläre Maßnahme zur Folge haben könnte: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt an diesem Donnerstag darüber, ob in Deutschland bereits mit der heutigen Rechtslage Fahrverbote für schmutzige Dieselautos erlaubt sind.

Das Gericht hat über Urteile der Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf zu befinden. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte die jeweiligen Bundesländer verklagt, weil in Düsseldorf und Stuttgart die Grenzwerte für Stickoxide nicht eingehalten werden. In beiden Fällen hatten die Gerichte geurteilt, dass Fahrverbote unter bestimmten Bedingungen möglich sind. In Stuttgart beispielsweise für Diesel unterhalb der Euro-6-Norm in der Umweltzone der Stadt.

Sowohl das Land Baden-Württemberg als auch Nordrhein-Westfalen legten gegen das jeweilige Urteil Sprungrevision ein. Das bedeutet, dass die nächsthöhere Instanz ausgelassen wird und das Verfahren gleich vor das Bundesverwaltungsgericht kommt.

Nach Einschätzung der Umwelthilfe gibt es nun drei Möglichkeiten: Die Leipziger Richter könnten die Sprungrevision zurückweisen; damit wären die Urteile der ersten Instanz rechtskräftig und Fahrverbote möglich. »Dieses Urteil wäre das politisch mit Abstand folgenreichste«, so die DUH. Im Zweiten Fall könnte das Gericht den Sprungrevisionen stattgeben und die Urteile aufheben. Damit wäre die Auffassung bestätigt, dass Fahrverbote ohne bundesweit einheitliche Regelung nicht zulässig sind. »Das massive Problem, dass Schadstoff-Grenzwerte überschritten werden, würde allerdings weiterbestehen«, so die DUH.

Als letzte Möglichkeit könnte das Bundesverwaltungsgericht die Fälle zur erneuten Verhandlung an die zuständigen Verwaltungsgerichte zurückverweisen und das Problem damit aufschieben. Das wäre auch dann der Fall, wenn das Gericht eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einholt.

Wenn das Urteil besagt, dass Fahrverbote rechtlich möglich sind, könnte das unmittelbare Auswirkungen auf all jene Städte haben, die die Grenzwerte überschreiten. Die DUH hat insgesamt 19 Städte wegen Verstößen gegen die Vorhaben für die Luftqualität verklagt.

Das vorrangige Ziel der Umwelthilfe sind aber nicht Fahrverbote: »Was wir mit den Fahrverboten erreichen wollen, ist, dass schmutzige Diesel, denen ein Fahrverbot auferlegt wird, auf Kosten der Hersteller technisch nachgerüstet werden und eine funktionierende Abgasreinigung bekommen, sodass sie die Grenzwerte auf der Straße einhalten«, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch im Interview mit dem Onlinemagazin »klimaretter.info«. Diese Fahrzeuge wären dann von Fahrverboten ausgenommen. Auch das UBA fordert solche Nachrüstungen.

Immerhin, im Koalitionsvertrag der Großen Koalition ziehen die möglichen Regierungspartner Union und SPD auch Hardwarenachrüstungen in Betracht, um Fahrverbote zu vermeiden. Allerdings nur »soweit technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar«. Auf viel Kritik stieß die Empfehlung von Regierungsberatern, dass der Staat die Umrüstungen bezahlen solle und nicht etwa die Verursacher, also die Autohersteller. Im Koalitionsvertrag nicht erwähnt wird die Blaue Plakette, die Dieselautos der neueren Abgasnorm Euro-6 von Fahrverboten ausnehmen würde.

Einen Hinweis darauf, dass Nachrüstungen effektiv sind, hat indes der ADAC Württemberg geliefert. Der Autoclub testete zusammen mit dem Stuttgarter Verkehrsministerium verschiedene Dieselautos der Euro-5-Norm mit und ohne Nachrüstung und kam zu dem Ergebnis: Innerorts lassen sich bis zu 70 Prozent, außerorts sogar 90 Prozent weniger Stickoxide erreichen. Für besonders belastete Gebiete wie das Stuttgarter Neckartor könne die Verbesserung der Luftqualität bis zu 25 Prozent betragen.

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