- Politik
- Fahrverbote
Der Diesel in der Sprungrevision
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, ob Fahrverbote rechtlich zulässig sind
Wegen der ständigen Grenzwertüberschreitungen droht Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Die Politik reagierte bisher dennoch nur zögerlich: Auf einem Dieselgipfel im vergangenen Jahr wurden Softwareupdates beschlossen, die die Abschaltung der Abgasreinigung verhindern sollen, und ein Maßnahmeplan für Kommunen. Außerdem gibt es Umtauschprämien für alte Dieselautos. Jetzt aber steht eine höchstrichterliche Entscheidung an, die eine unpopuläre Maßnahme zur Folge haben könnte: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt an diesem Donnerstag darüber, ob in Deutschland bereits mit der heutigen Rechtslage Fahrverbote für schmutzige Dieselautos erlaubt sind.
Das Gericht hat über Urteile der Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Düsseldorf zu befinden. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte die jeweiligen Bundesländer verklagt, weil in Düsseldorf und Stuttgart die Grenzwerte für Stickoxide nicht eingehalten werden. In beiden Fällen hatten die Gerichte geurteilt, dass Fahrverbote unter bestimmten Bedingungen möglich sind. In Stuttgart beispielsweise für Diesel unterhalb der Euro-6-Norm in der Umweltzone der Stadt.
Sowohl das Land Baden-Württemberg als auch Nordrhein-Westfalen legten gegen das jeweilige Urteil Sprungrevision ein. Das bedeutet, dass die nächsthöhere Instanz ausgelassen wird und das Verfahren gleich vor das Bundesverwaltungsgericht kommt.
Nach Einschätzung der Umwelthilfe gibt es nun drei Möglichkeiten: Die Leipziger Richter könnten die Sprungrevision zurückweisen; damit wären die Urteile der ersten Instanz rechtskräftig und Fahrverbote möglich. »Dieses Urteil wäre das politisch mit Abstand folgenreichste«, so die DUH. Im Zweiten Fall könnte das Gericht den Sprungrevisionen stattgeben und die Urteile aufheben. Damit wäre die Auffassung bestätigt, dass Fahrverbote ohne bundesweit einheitliche Regelung nicht zulässig sind. »Das massive Problem, dass Schadstoff-Grenzwerte überschritten werden, würde allerdings weiterbestehen«, so die DUH.
Als letzte Möglichkeit könnte das Bundesverwaltungsgericht die Fälle zur erneuten Verhandlung an die zuständigen Verwaltungsgerichte zurückverweisen und das Problem damit aufschieben. Das wäre auch dann der Fall, wenn das Gericht eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einholt.
Wenn das Urteil besagt, dass Fahrverbote rechtlich möglich sind, könnte das unmittelbare Auswirkungen auf all jene Städte haben, die die Grenzwerte überschreiten. Die DUH hat insgesamt 19 Städte wegen Verstößen gegen die Vorhaben für die Luftqualität verklagt.
Das vorrangige Ziel der Umwelthilfe sind aber nicht Fahrverbote: »Was wir mit den Fahrverboten erreichen wollen, ist, dass schmutzige Diesel, denen ein Fahrverbot auferlegt wird, auf Kosten der Hersteller technisch nachgerüstet werden und eine funktionierende Abgasreinigung bekommen, sodass sie die Grenzwerte auf der Straße einhalten«, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch im Interview mit dem Onlinemagazin »klimaretter.info«. Diese Fahrzeuge wären dann von Fahrverboten ausgenommen. Auch das UBA fordert solche Nachrüstungen.
Immerhin, im Koalitionsvertrag der Großen Koalition ziehen die möglichen Regierungspartner Union und SPD auch Hardwarenachrüstungen in Betracht, um Fahrverbote zu vermeiden. Allerdings nur »soweit technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar«. Auf viel Kritik stieß die Empfehlung von Regierungsberatern, dass der Staat die Umrüstungen bezahlen solle und nicht etwa die Verursacher, also die Autohersteller. Im Koalitionsvertrag nicht erwähnt wird die Blaue Plakette, die Dieselautos der neueren Abgasnorm Euro-6 von Fahrverboten ausnehmen würde.
Einen Hinweis darauf, dass Nachrüstungen effektiv sind, hat indes der ADAC Württemberg geliefert. Der Autoclub testete zusammen mit dem Stuttgarter Verkehrsministerium verschiedene Dieselautos der Euro-5-Norm mit und ohne Nachrüstung und kam zu dem Ergebnis: Innerorts lassen sich bis zu 70 Prozent, außerorts sogar 90 Prozent weniger Stickoxide erreichen. Für besonders belastete Gebiete wie das Stuttgarter Neckartor könne die Verbesserung der Luftqualität bis zu 25 Prozent betragen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.