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Nicht nur irgendwas mit PKK
Bis zu 1,2 Millionen Menschen mit kurdischen Wurzeln leben in Deutschland - ihre Vielseitigkeit wird kaum bemerkt
Es ist kalt vor dem Berliner Kanzleramt an einem Donnerstag im Februar, knapp ein Monat nach Beginn des türkischen Krieges gegen die nordsyrische Enklave Afrin. Turhan Gülveren vergräbt seine Hände in den Manteltaschen. Gemeinsam mit Dutzenden anderen will der 60-Jährige mit dem leicht ergrauten Schnauzbart gegen den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım bei Kanzlerin Angela Merkel protestieren. »Vielleicht wird es um neue Waffenlieferungen gehen«, vermutet Gülveren. Das angesichts des Krieges schwammige Herumlamentieren Berlins macht ihn wütend. »Wir wollen endlich wissen, auf welcher Seite die Bundesregierung steht.« Gülveren ist vor 20 Jahren nach Deutschland geflüchtet, davor lebte er in Istanbul. Hierzulande habe er bereits mehrfach mit Behörden in Konflikt gestanden. »Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist begrenzt«, sagt Gülveren. »Wenn alles ruhig ist, merkt man nichts, doch sobald man sich politisch zeigt, kommt der Staat.« Razzien habe er schon erlebt, auch Propagandavorwürfe hätte man gegen ihn und seine Freunde erhoben.
Einschüchterung und Repression
Ähnlich äußert sich Yilmaz Pêşkevin Kaba, Vorstandsmitglied des Zentralverbandes der Êzîdischen Vereine in Deutschland und Mitglied der Linkspartei. Kaba findet sogar, »die Einschüchterungs- und Kriminalisierungspolitik der Bundesregierung« habe ein »noch nie dagewesenes Ausmaß angenommen.« Es werde immer schwieriger, gegen den Krieg zu protestieren, sagt er. Kurden seien mit »Verboten, Einschränkungen, einer negativen Darstellung, Diffamierungen und Stigmatisierung« konfrontiert. »Ich fühle mich als Kurde im allgemeinen, aber auch als Kurde, der gesellschaftlich und politisch aktiv ist, unterdrückt.«
In den vergangenen Tagen häuften sich Vermutungen darüber, dass die deutschen Behörden derzeit strenger gegen kurdische Organisationen und Anti-Kriegs-Demonstrationen vorgehen, um so die türkische Regierung zufrieden zu stellen. Ob dies nun stimmt oder nicht: Die Kriminalisierungs-Erfahrungen, von denen Gülveren und Kaba berichten, teilen sie mit vielen Menschen. Seit im Jahr 1993 unter der Regierung Helmut Kohl die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit einem Betätigungsverbot belegt wurde, stehen Deutsch-Kurden hierzulande unter Generalverdacht. Das Verbot kriminalisiert damit seit fast 25 Jahren eine Migrantengruppe, die politisch äußerst heterogen und in einer ganzen Reihe von Vereinen organisiert ist, in der Öffentlichkeit aber immer noch als »irgendwas mit PKK« wahrgenommen wird.
Vielseitigkeit der kurdischen Organisationen
Als sich im Frühjahr 2015 die PKK - knapp zwanzig Jahre, nachdem sie gewalttätigen Aktionen in Deutschland abgeschworen hatte - offiziell für hier verübte Gewalt entschuldigte, äußerte die überparteiliche, von dem CDU-Mitglied Ali Toprak geleitete Kurdische Gemeinde in Deutschland (KGD) Zustimmung. Es sei nun Zeit, dass die politischen Verantwortlichen »das Verbot der PKK unbedingt überdenken« sollten. Denn dieses, so die KGD, führe »zu einer Kriminalisierung der Kurden in Deutschland« und koste bis heute enorme Ressourcen. Die KGD ist einer jener Vereine, die, wie beispielsweise auch der bereits 1979 gegründete Dachverband Komkar, für die vielen PKK-kritischen Deutsch-Kurden stehen.
Der Verfassungsschutz geht seit Jahren von etwa 14 000 PKK-Sympathisanten in Deutschland aus. Das zeigt einerseits, dass die verbotene Organisation durchaus eine Basis unter in Deutschland lebenden Kurden hat. Gleichzeitig entspricht diese Zahl lediglich ein bis drei Prozent. Ganz genau weiß man es freilich nicht. Und dies wiederum liegt daran, dass - obwohl eine der größten Einwanderergruppen - keine genauen Zahlen darüber existieren, wie viele Deutsch-Kurden es gibt. Der Grund ist simpel: Es gibt keinen kurdischen Staat, Kurden kommen aus der Türkei, Iran, Irak oder Syrien beziehungsweise sind als Nachfahren von Gastarbeitern und Flüchtlingen in Deutschland geboren worden.
Unbekannte Minderheit
Die existierenden Schätzungen gehen auseinander: Als Antwort auf eine kleine Anfrage der PDS erklärte die Bundesregierung im Jahr 2000, man wisse von etwa 500 000 »Menschen kurdischer Abstammung« in Deutschland, etwa ein Drittel davon seien deutsche Staatsbürger. Bei einem Besuch in der Türkei im Jahr 2010 sprach der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) wiederum von 800 000 Deutsch-Kurden. Ende der Nullerjahre erhobene Schätzungen gingen von mehr als einer Million Menschen mit kurdischen Wurzeln aus. Und in den vergangenen zwei Jahren dürfte sich hier noch einiges bewegt haben. Denn laut Berechnungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von 2015 sind etwa ein Drittel der syrischen Kriegsflüchtlinge Kurden.
Was das Kurdisch sein kennzeichnet, das lässt sich bei syrischen und irakischen Kurden wohl am ehesten an der Sprache festmachen. In der Türkei ist das - auch wegen der jahrzehntelang praktizierten Sprachunterdrückungspolitik und dem Verbot kurdischer Namen - schon etwas komplizierter. Die Kurdische Gemeinde weist darauf hin, dass die in den 1960er und 1970er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei in die Bundesrepublik gekommenen Kurden eher selten Wert auf eine kurdische Identität legten. Mit den Konflikten in den kurdischen Gebieten der Türkei und der Flucht vieler türkischer Kurden in den 1980er Jahren änderte sich dies. Doch seitdem bestimmen die öffentliche Wahrnehmung fast ausschließlich PKK-Bilder.
Seit langem schon wird diese Pauschalisierung und die damit einhergehende Stigmatisierung kritisiert. Bereits vor fast zehn Jahren fand im Berliner Abgeordnetenhaus eine Konferenz mit dem Titel »Kurden in Deutschland« statt, in deren Abschlusserklärung gefordert wurde, Kurden endlich als eigenständige Migrantengruppe anzuerkennen. Auch beklagten die Unterzeichner, dass wegen des PKK-Verbotes generell »kurdische MigrantInnen und insbesondere ihre Selbstorganisationen kriminalisiert, stigmatisiert und als Folge dessen doppelter Ausgrenzung ausgesetzt werden.«
Seither hat sich jedoch nicht viel an diesem Zustand geändert. Allerdings: Wegen des Krieges in Syrien und der Situation in der Türkei geraten auch Deutsch-Kurden immer wieder in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit. Das war so, als der »Islamische Staat« (IS) 2014 die nordsyrische Stadt Kobane angriff. Das ist gegenwärtig so, da die türkische Armee gegen Afrin vorgeht.
Enttäuschung und Wut
»Viele Kurden identifizieren sich mit den freiheitlich-demokratischen Grundwerten hierzulande«, sagt Mahmut Canbay. Er ist Intendant des Hamburger MUT-Theaters, das interkulturelle Stücke aufführt und sich für die Vermittlung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen einsetzt. Gerade wegen dieses Bekenntnisses zu westlichen Werten könnten viele, so Canbay, es nicht fassen, »dass ausgerechnet der Westen die Kurden dem Nationalislamisten Erdoğan ausliefert und den Widerstand der Kurden gegen Unterdrückung und Barbarei kriminalisiert, während viele nationalistische Erdoğan-Türken hier ungestört gegen Kurden und andere Demokraten hetzen können«.
Canbay lebt schon lange in Deutschland. Besonders mit den Kriegsflüchtlingen aus Syrien gesellen sich seit einigen Jahren aber auch neue kurdische Einwanderer zu den »Alteingesessenen«. Zu diesen Neuen gehört auch Mohammed, der vor zwei Jahren mit seiner Frau und seinen drei kleinen Söhnen aus Afrin geflüchtet ist und nun in einem Camp des DRK in Hamburg-Neugraben lebt. »Die Kurden haben gemeinsam mit dem Westen gegen Daesh gekämpft. Und jetzt rücken die Islamisten gemeinsam mit der türkischen Armee auf Afrin vor. Was soll das?«, fragt er.
Was das soll und vor allem, was das für die Einwohner Afrins bedeutet, fragen sich auch in Deutschland lebende Jesiden. Einige von ihnen betrachten sich als Kurden, viele aber auch als eigenständige Minderheit. Schätzungen gehen von 100 000 bis 200 000 Jesiden in Deutschland aus - auch sie verbergen sich in anderen Einwanderergruppen - und der Krieg in Afrin bedeutet für viele von ihnen, dass alte Ängste wieder hochkommen. Man befürchte ein »Massaker in Afrin«, hatte der Vorsitzende des Zentralrates der Êzîden in Deutschland, Irfan Ortac (SPD), bereits kurz nach Beginn der türkischen Offensive erklärt.
Die Jesiden erhielten 2014 kurzzeitig sehr viel Aufmerksamkeit in Deutschland, als der IS - der sie wegen ihrer Religion als »Ungläubige« verachtet - im irakischen Sindschar-Gebirge Tausende von ihnen einkesselte und fürchterliche Massaker anrichtete, die nach Einschätzung von UN-Experten das Ausmaß eines Völkermords erreichten. Milizen der PKK und der nordsyrischen YPG kämpften ihnen damals einen Fluchtweg nach Syrien frei.
Nun sind sie wieder akut bedroht. In Afrin bestehe »derzeit definitiv die Gefahr eines Genozides an den Jesiden«, erklärt Adoula Dado. »Ein Großteil der angreifenden Bodentruppen sind Islamisten. Diese werden den Jesiden kein Ultimatum stellen, sondern sie direkt vogelfrei erklären.« Dado wurde 1977 in Düsseldorf als Tochter jesidischer Einwanderer aus Syrien geboren. Sie ist Referentin der Bundeswehr und Geschäftsführerin von malak.help, einer Hilfsorganisation zur Unterstützung von notleidenden Menschen in Kriegsgebieten.
Bereits 2014 hatte sie versucht, irakische Jesiden vor der brutalen Gewalt des Islamischen Staates zu retten. Die Sorgen von damals würden nun wiederkommen. »Die Jesiden in Deutschland sind zutiefst verunsichert und besorgt. Wir alle haben eine kollektive Traumatisierung von den IS-Gräueltaten im Sindschar-Gebirge von 2014. Es gibt eine große Angst, dass sich dies nun wiederholt.«
Dado sieht in dieser Notlage die Bundesregierung in Verantwortung. »Als Jesidin weiß ich auf der einen Seite, dass es sehr wahrscheinlich diplomatische Gespräche gibt, die nicht öffentlich gemacht werden dürfen.« Andererseits empfinde sie das Verhalten der Bundesregierung und der Weltgemeinschaft gegenüber der Zivilbevölkerung in Afrin als verantwortungslos. »Ich fühle mich verraten.«
Geeint in der Ablehnung des Krieges
Wut, Enttäuschung und Angst - das sind Stichworte, die derzeit häufig fallen, wenn es um den Afrin-Krieg und die Rolle der Bundesrepublik dabei geht. Das Bekenntnis zu Deutschland als Heimat ist jedoch auch immer wieder zu hören - so von der bereits erwähnten Kurdischen Gemeinde. Ihr Vorsitzender Toprak, mischte sich erst kürzlich in die Diskussion um das Heimatministerium ein und widersprach öffentlich der eher linksliberalen Türkischen Gemeinde, die den Begriff »Heimat« als ausgrenzend kritisiert hatte. Toprak hielt dem entgegen, dass er sich bewusst für Deutschland als Heimat entschieden und hier »die Unterstützung und Anerkennung« erlebt habe, die ihm als Kurde und Alevit in der Türkei verwehrt worden sei.
Die Episode zeigt wohl vor allem eines: Die Migrantenorganisationen in Deutschland sind so divers wie der Rest der Gesellschaft auch. Ziemlich einig sind sich die kurdischen Organisationen - egal ob konservativ oder links, ob Unterstützer der Autonomieregierung in Nordirak oder der Regierung in Nordsyrien - in der Ablehnung des Afrin-Krieges. Anders als nationalistisch eingestellte Türken haben sie jedoch keine Regierung, die gegenüber Deutschland Druck ausüben könnte. Auch deshalb zieht es viele Deutsch-Kurden derzeit auf die Straßen - wie vor das Kanzleramt.
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