Immärr diesärr Rrussä!
Der Spionagethriller »Red Sparrow« ist erfreulich explosionsarm, trägt aber recht wenig zur Völkerverständigung bei
Der Russe ist unbelehrbar. Obwohl die Sowjetunion längst das Zeitliche gesegnet hat, guckt er in Filmen noch immer sehr böse, will von Freiheit, individueller Selbstverwirklichung und Menschenrechten nach wie vor nichts wissen und ist auch sonst ein übler Zeitgenosse. Und, was wohl das bei Weitem Ärgerlichste ist: Noch immärr sprrikkcht därr Rrussä kkchein akkchzentfrräies Deutsch, wenigstens nicht in den synchronisierten deutschen Fassungen US-amerikanischer Filme. Das allein schon macht den Russen verdächtig.
Dominika Egorova (Jennifer Lawrence) ist Primaballerina beim Bolschoi-Ballett, das ihr, der aufstrebenden Tänzerin, auch eine Wohnung zur Verfügung stellt und für Dominikas krankes Mütterchen die Krankenversicherung bezahlt. Denn beim Russen, da zählt die Gemeinschaft noch etwas, auch wenn es den Kommunismus schon lange nicht mehr gibt. Doch, Kommunismus hin oder her, der Russe bleibt nun mal der Russe.
Jedenfalls hat Dominika einen folgenschweren Unfall: Knacks, Krach, Bein kaputt, Karriere aus. Was tun? (Lenin) Was tun, wenn man eine starke, kluge, schöne junge Frau ist, die nicht mehr ihrem Beruf nachgehen, also nicht mehr tanzen kann, aber einen Onkel namens Wanja (Matthias Schoenaerts) hat, der sicher nicht zufällig die gleiche Frisur trägt wie Wladimir Putin und der ein hohes Tier beim SWR ist, also beim russischen Auslandsnachrichtendienst? Wanja: »Es gibt keine Unfälle, wir bestimmen unser Schicksal selbst.« Zuerst zögert Dominika noch, zweifelnd, ob Spionin für sie die richtige Berufswahl ist. Doch Wanja gibt seiner Nichte zu bedenken, dass Krankenversicherungen und Wohnungen auch in Putins Staat nicht vom Himmel fallen: »Dafür muss ich deinen Nutzen für den Staat nachweisen.« Nur wer nützlich ist, der soll auch essen, so denkt er nun mal, der Russe. Natürlich lässt sich Dominika von ihrem heimtückischen Putin-Onkel anwerben, denn schließlich will sie weder demnächst auf der Straße stehen noch Mütterchens Gesundheitsversorgung gefährden. Onkel Wanja: »Wenn du dem Staat nicht nützlich bist, jag ich dir eine Kugel in den Kopf.« Ja, so spricht er nun mal, der herzlose Geheimdienstrusse.
Dominika ist schnell, sowohl beim Denken als auch beim entschlossenen Handeln, mit ihrem Verstand kann sie ebenso geschickt umgehen wie mit dem Baseballschläger, so stellt sich bald heraus.
An einer Schule für junge, angehende Geheimdienstlerinnen und Geheimdienstler, einer Mischung aus Gehirnwäscheanstalt und Umerziehungslager, lässt sie sich zur lebendigen Waffe ausbilden und lernt alles übers Spionagegeschäft: Tricksen, Taktieren, Täuschen, Lügen, Manipulieren, totale Selbstverleugnung, psychologische Kriegsführung. Der Ausbildungsraum ist logischerweise ein karger Saal, dessen einzige Zier die aus der Ära des Kommunismus übrig gebliebenen roten Vorhänge im Bildhintergrund sind. Man hat sich sichtlich ein wenig Mühe gegeben, einen angemessenen Totalitarismus- und Ostblockstyle zu generieren: Die Auszubildenden tragen selbstverständlich schlichte russische Einheitskleidung, die man bis obenhin zuknöpfen muss. Man kennt ihn ja, den Russen, und weiß, wie er tickt.
Die resolute Ausbilderin (Charlotte Rampling in ihrer Stammrolle als gefühlskaltes, sadistisches Mannweib), eine fanatische Staatsdienerin, gibt die Parolen aus (»Dein Körper gehört dem Staat«) und sorgt derweil für den richtigen Drill und die passende Sorte Psychofolter. Die jungen Dinger müssen abgehärtet werden, und sie müssen noch viel lernen: Entsagung, Schmerz hinunterschlucken, Opfer für ein höheres Ziel bringen, die Beine breitmachen für den Feind. »Der Staat hat deinen Körper ernährt«, so belehrt die Ausbilderin die junge Dominika, »jetzt hat er das Recht auf eine Gegenleistung.« Dominika soll, vor den Augen von allen anderen, einen der anderen Kadetten fellationieren. »Überwindet euren Widerstand, ihr müsst lernen, auf Befehl zu lieben.« Dominika soll schließlich, wenn ihre Ausbildung abgeschlossen ist, einen CIA-Agenten verführen, damit dieser ihr die Identität seiner russischen Kontaktperson verrät, eines sogenannten Maulwurfs. Man lernt: In Putins dunklem Reich geht es auch nicht viel anders zu als weiland im Sowjetkommunismus. Zwang, Kasernenhofton, Schweinereien. Der Staat gibt, der Staat nimmt. Und er lehrt Dominika das Allerwichtigste: die Funktionsmechanismen der Macht begreifen lernen, die Menschen durchschauen lernen, ihre Schwächen finden und ausnützen können.
In der Folge kann man der Agentin nicht nur bei ihrem Geschäft zuschauen (sich durchsetzen, sich nichts von schmierigen Vorgesetzten vorschreiben lassen, gegnerische Agenten foppen und austricksen, Schmerzen aushalten usw.), in dem es naturgemäß fortwährend um Vertrauen und Misstrauen bzw. Treue und Verrat geht, man kann auch etwa anderthalb von fast zweieinhalb Stunden in das Gesicht von Jennifer Lawrence schauen, denn der Regisseur hat beschlossen, uns fortwährend deren Gesichtszüge, Lippen und Augen in Großaufnahmen zu zeigen.
Neben unserer schönen jungen, starken Spezialistin für Informationsbeschaffung und unserem Putin-Verschnitt taucht noch weiteres Personal auf, das auch in klassischen Kalter-Krieg-Spionagethrillern nicht fehlen darf: ein stets in schwarze Fetisch-Lederkluft gewandeter und seine Arbeit sehr genießender, strohblonder SWR-Folterknecht, ein russischer Geheimdienstgeneral mit ordengeschmückter Uniformjacke (Jeremy Irons in seiner Stammrolle als gefühlskalt-sadistischer, schmallippiger Soziopath) und eine Handvoll freundliche, knuffige, rechtschaffene CIA-Agenten. Und: Erfreulicherweise hat man den Action-Quatsch (sinnlose Explosionen, sinnlose Autoverfolgungsjagden) weggelassen, das macht den Film erholsam.
»Red Sparrow«, USA 2018. Regie: Francis Lawrence. Darsteller: Jennifer Lawrence. 141 Min.
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