Bundestag bekommt »Amri-Ausschuss«
Nach langem Hin und Her Einigkeit über Untersuchungsauftrag zum Weihnachtsmarkt-Attentat
Kein Untersuchungsausschuss könne die zwölf Toten, die dem dschihadistischen Attentat zum Opfer fielen, zum Leben erwecken, sagt Martina Renner. Die Politikerin wird von der Linksfraktion in den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Anis Amri entsandt, der am Donnerstag seine Arbeit aufnehmen soll. Dennoch müsse man sich fragen, so Renner, ob das Verbrechen hätte verhindert werden können, wenn Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste zuvor andere Maßnahmen ergriffen hätten.
Der Tunesier Anis Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen Sattelschlepper gekapert und war mit ihm - nach dem Vorbild anderer islamistisch geprägter Anschläge, die in verschiedenen europäischen Staaten stattfanden - in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast. Auf der Flucht wurde er kurz darauf in Italien von Polizisten erschossen.
Renner, die in Untersuchungsausschüssen zum rechtsextremen NSU und zu der NSA-BND-Spionagepartnerschaft reichlich Erfahrungen sammeln konnte, will umfassende Aufklärung. Denn im Raum steht sogar der Verdacht, dass notwendige Maßnahmen gegen Amri unterblieben, weil Polizei und geheime Dienste ein V-Leute-System in der dschihadistischen Bewegung geschützt haben.
Amri war als sogenannter Gefährder und verurteilter Straftäter den Behörden bekannt. Er wurde teilweise beobachtet, man registrierte, mit wem er wo Umgang pflegte. Eigentlich hätte er abgeschoben werden sollen. Statt dessen nutzte er verschiedene Identitäten und verkaufte Drogen.
Diese und zahlreiche andere Ungereimtheiten soll ein Untersuchungsausschuss beantworten, der an diesem Donnerstag per Parlamentsbeschluss eingesetzt wird. Nachdem die Untersuchungsarbeit der Parlamente in Nordrhein-Westfalen und Berlin längst begonnen hat, brauche es dringend auch eine umfassende Aufklärung auf Bundesebene, betonen die Grünen. Gemeinsam mit der Linksfraktion forderten sie schon lange eine adäquate Aufarbeitung im Bundestag. Doch die Union bremste. So dauerte es Monate, bis sich Union, SPD, Linksfraktion, Grüne und FDP auf einen Untersuchungsauftrag verständigen konnten.
Nun jedoch will auch Stephan Mayer (CSU), Obmann der Unions-Fraktion, Schwachstellen in der deutschen Sicherheitsarchitektur und daher besonders Schnittstellen zwischen Behörden in Bund und Ländern ausleuchten. Mayer warnte vor einer möglichen Instrumentalisierung des Grauens. Die AfD wolle den Ausschuss für ein »Fanal über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung« nutzen, befürchtet er. »Das dürfen wir nicht zulassen.«
Zu Beginn der Arbeit wollen die Ausschussmitglieder mit Angehörigen der Opfer ins Gespräch kommen. Man plane, so der designierte Vorsitzende Armin Schuster (CDU), zunächst Kontakt mit dem Opferbeauftragten Kurt Beck (SPD) aufzunehmen.
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