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Diebstahl für die gute Sache
Ein Berliner Kunstkollektiv ruft zum Klauen auf – und will damit auf globale Ungleichheiten aufmerksam machen
Wer kennt das nicht: Man spaziert durch den Discounter um die Ecke, packt den Einkaufswagen voll und freut sich an der Kasse über die niedrigen Preise. Doch warum zahlen wir eigentlich so wenig? Weil andere dafür leiden, meint das Peng-Kollektiv. Ihre Antwort: Deutschland geht klauen. So heißt die neuste Kampagne der Berliner Aktionskünstler*innen.
Mittwochabend, eine urig-alternative Kneipe unweit des Kottbusser Tors. Draußen ist es klirrend kalt, drinnen stickig und verraucht. Es ist brechend voll. Aber heute ist kein normaler Bar-Abend. Die Künstler*innen von Peng haben zum Start ihrer Kampagne geladen. »Supermärkte sind Teil eines großen Systems, das Menschen ausbeutet«, ruft die Peng-Sprecherin Gil Schneider dem bierseligen Publikum zu. Der Aufruf: Menschen, geht klauen! Aber nicht irgendwo und schon gar bei Tante-Emma Läden, sondern bei den Großen. Da, wo das richtige Geld gemacht wird.
Peng will mit ihrer neuen Aktion auf globale Ungleichheiten aufmerksam machen und zeigen: Für unsere niedrigen Preise zahlen andere einen hohen Preis. »Die Supermärkte klauen jeden Tag auf legale Weise«, erklärt Schneider bei Bier und selbst gedrehten Zigaretten in einem Hinterzimmer der Kneipe. Die heimischen Supermärkte seien direkt und indirekt an Menschenrechtsverletzungen im Ausland beteiligt. Auf der Homepage des Kollektivs heißt es: »Die vier großen Discounter Lidl, Edeka, Aldi und Rewe bestehlen täglich ihre Produzent*innen, denn sie verhindern Gewerkschaften, zahlen Hungerlöhne und befördern die Verletzungen von Menschenrechten«. Ein Beispiel: Auf den Kakao-Farmen in Ghana, Kamerun und Elfenbeinküste arbeiten zwei Millionen Kinder. Sie schuften für unsere Schokolade.
In der Kreuzberger Bar wird ein Video an die Wand gestrahlt. Die Bilder zeigen einen Supermarkt irgendwo in Deutschland. Die Stimme aus dem Off sagt: »Dank der Plantagenarbeiter in Brasilien, die für sie auf ihre Arbeitsrechte verzichten, kostet das Kilo Orangen heute nur 99 Cent.«
Ein anderes Video zeigt, wie man am besten in Supermärkten klaut. Symbol der Kampagne ist ein Waschbär. Die Aktivist*innen haben sich flauschige Schwänze angesteckt. Der Stil von Peng ist bunt, poppig und provokant. Das ist erfrischend anders als der moralisierende Spendengestus vieler Entwicklungsorganisationen.
Für Peng ist klar, dass multinationale Unternehmen im Ausland auf »Raubzug gehen«. Nun wird zurück geklaut. Die Rechnung ist einfach: man klaut im Supermarkt, rechnet das gesparte Geld in einem Online-Tool zusammen und spendet die »Beute« direkt dahin, wo sie wirklich hingehört –an den Beginn der Wertschöpfungskette in den Globalen Süden. Genauer gesagt: an Gewerkschaften in Brasilien, Indien, Äthopien und Ecuador, mit denen Peng kooperiert. Auch mit Yvan Sagnet arbeitet das Kollektiv zusammen. Der kamerunische Aktivist war Erntehelfer und hat den ersten Migrant*innenstreik in der italienischen Landwirtschaft angeführt. Heute ist er Gewerkschafter, Autor – ein Vollzeitaktivist. Nach Kreuzberg schickt er warme Worte mit einem selbst gefilmten Handyvideo.
Mit ihrer Aktion will Peng die »heilige Kuh des Eigentums« angreifen. Über rechtliche Konsequenzen haben sich die Künstler*innen viele Gedanken gemacht. Jurist*innen wurden zu Rat gezogen. Aber: »Wir stellen uns auf ein breites Spektrum von möglichen rechtlichen Konsequenzen ein.« Die Berliner*innen hoffen, dass die Aktion als Kunst wahrgenommen wird. Ob das »Schutzschild der Kunstfreiheit« aber wirklich schützt, ist unsicher. Für Menschen, die im Supermarkt klauen und erwischt werden, auf jeden Fall nicht. Peng schreibt, dass sie keine Kapazitäten hätten diese Menschen »rechtlich oder finanziell zu unterstützen«.
Es ist nicht das erste Mal, dass Peng für Kontroversen sorgt. Das Kollektiv steht für politische Kunst, die provoziert, schockt und aufrüttelt: Einmal schmissen die Aktivist*innen der AfD-Politkerin Beatrix von Storch eine Torte ins Gesicht. Bei anderen Aktionen gab Peng praktische Tipps zur Fluchthilfe auf, hielt im Namen von Vattenfall eine falsche Pressekonferenz ab oder die politischen Künstler*innen gaben sich als Google-Mitarbeiter*innen aus.
Aber was steht im Fokus? Die künstlerische Aufmerksamkeit oder die politische Kritik? »Wir verstehen Kunst als aktivistische Ausdrucksform. Die Motivation Peng zu gründen war, dass wir mit den konventionellen Protestformen wie Petitionen oder Kampagnen in sozialen Netzwerken unzufrieden waren«, erklärt Schneider. »Mit Kunstaktionen können wir ganz andere Menschen ansprechen.«
Die neue Aktion von Peng hat eine klare Empfängerin: die Bundesregierung. Doch was hat die deutsche Regierung mit den Bedingungen in den Produktionsländern zu tun? Viel, meint Peng. Zwar werbe das Bundesarbeitsministerium mit einem »Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte« (NAP), der dafür sorgen soll, dass deutsche Unternehmen im Ausland auf die Einhaltung von Menschenrechten achtet. Die Betonung liegt jedoch auf »soll«. Der Aktionsplan beruht auf »freiwilliger Selbstverpflichtung der Unternehmen«. Bis 2020 soll beobachtet werden, ob diese Verpflichtungen ausreichend sind oder ob verbindlichere gesetzliche Regelungen diskutiert werden müssen. Schneider macht das wütend: »Das sind keine wirkungsvollen Maßnahmen.« Außerdem wurde aufgedeckt, dass viele Lobbyisten der deutschen Wirtschaft maßgeblich an dem Plan mitgearbeitet haben.
Damit bliebt das Paradigma weiterhin erstmal: Menschenrechte nur dann, wenn sie unternehmensverträglich sind. Marxisten nennen das auch den Primat der Ökonomie. Peng fordert eine gesetzlich verankerte »menschenrechtliche Sorgfaltspflicht«. Übersetzt heißt das: Unternehmen können für Menschenrechtsverletzungen verklagt werden und sind gesetzlich haftbar für Verstöße.
Als der Kampagnenstart von Peng langsam in einen normalen Kreuzberger Bar-Abend übergeht, ergreift Schneider noch einmal das Wort. Sie fragt in die Runde: »Wer von euch kann sich nicht vorstellen, Klauen zu gehen?«. Niemand hebt die Hand.
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