Putins Botschaft: »Video bitte!«

Russlands Präsident modernisiert die Raketen und reformiert das Land

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurze Fanfarensignale, abgewehrter Beifall, zur Sache. Den erstmaligen Umzug Wladimir Putins bei seiner 13. Ansprache an die Nation in das Ausstellungszentrum Manege vor den Toren des Moskauer Kremls rechtfertigten am Donnerstag unübersehbar große Videowände. Sie sollten der Präsentation von Fakten dienen, hatte es seit Tagen geheißen. Der prachtvolle Georgensaal im großen Kremlpalast sei dazu technisch nicht geeignet gewesen. Der Staatschef wollte offenbar demonstrativ auf den Arbeitscharakter seiner Botschaft an die Nation vor rund 1000 Gästen aus dem Kreis der russischen Elite setzen.

Auch die jedoch wurde in wesentlichen Teilen wohl überrascht. Denn nach 70 Minuten Innenpolitik unter den Stichworten Reform, Modernisierung und Durchbruch bei der Entwicklung forderte der Präsident: »Video bitte!« Auf zwei großen Projektionsflächen an der Stirnseite des Saales wurden neueste strategische Waffen präsentiert. Einige von ihnen seien bereits in Dienst gestellt, andere würden noch erprobt, informierte Putin.

In einer Simulation flog eine Rakete um die Erde, umkurvte Stützpunkte und Abwehrstellungen. Marschflugkörper waren im All, im Luftraum oder unter Wasser unterwegs - von US-Abwehrschilden nicht zu stoppen. Namentlich genannt und präsentiert wurden die schwere strategische Rakete »Sarmat« und die Hyperschall-Rakete »Kinschal«, ein nukleargetriebener Marschflugkörper und eine Unterwasser-Lenkrakete. Erstmals spendeten die Gäste stehend Beifall.

»Es geht um neue strategische Raketensysteme Russlands, die wir entwickelt haben als Reaktion auf den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Vertrag über Raketenabwehr und die De-facto-Stationierung solcher Systeme auf dem Gebiet der USA und außerhalb der US-Grenzen«, erläuterte der russische Präsident. Keine dieser neuartigen Waffen könne mit den derzeitigen Systemen abgefangen werden. »Das ist kein Bluff«, versicherte Putin. Aber er unterstrich auch, sein Land bedrohe niemanden, sichere aber das strategische Gleichgewicht. Die Nukleardoktrin sehe einen Einsatz nur bei einem Angriff auf Russland oder einen seiner Verbündeten vor. Als strategische Verbündete nannte er die VR China und Indien. Russland wolle aber auch normal und gleichberechtigt mit den USA und der EU zusammenarbeiten.

Der offenkundig von einer Erkältung geplagte Präsident hatte zuvor konzentriert sein Programm für die vierte Amtszeit vorgelegt. Bilanzen begannen zuweilen mit der Amtsübernahme Putins im Jahr 2000 nach dem Rücktritt Boris Jelzins, dessen »wilde Neunziger« freilich unerwähnt blieben. Es ging vor allem um »Herausforderungen, die eine starke Antwort brauchen«. Die kommenden Jahre seien »entscheidend« für das Land, sagte Putin. »Das Wohlergehen Russlands und das Wohlergehen unserer Bürger muss die Grundlage von allem sein, und in diesem Bereich müssen wir einen Durchbruch erreichen.« Russland verfüge über ein gewaltiges Potential, verwies der Kremlchef auf die eigenen Stärken.

Gleich zu Beginn der Rede war ein Thema die Bekämpfung der Armut. Deren Quote sei in den kommenden sechs Jahren mindestens zu halbieren. Vor 18 Jahren hätten 42 Millionen Russen unterhalb der Armutsgrenze gelebt, heute gelte das noch für 20 Millionen Menschen, sagte Putin. Renten sollen schneller steigen als die Inflation, jährlich statt vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes fünf Prozent für das Gesundheitswesen ausgegeben werden. Wie bereits oft versprochen, müsse jetzt das Wohnungsproblem gelöst werden.

Als eine Quelle der Finanzierung nannte der Präsident eine größere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Die Arbeitsproduktivität solle jährlich um fünf Prozent steigen, das kleine und mittlere Unternehmertum gefördert werden. Im nächsten Jahrzehnt wolle Russland unter die fünf größten Volkswirtschaften aufrücken. Dies solle vor allem durch technologische Innovationen gelingen.

Größere »Freiheiten in allen Bereichen« nannte Putin als Grundlage, Fortschritte zu erreichen. Die demokratischen Institutionen, die Zivilgesellschaft und auch die Gerichte sollen gestärkt werden. »Wir müssen ein Land sein, das offen ist für die Welt, für neue Ideen und Initiativen«, sagte er.

Dass solche Botschaft nicht leeres Wort sei, machte Kremlsprecher Dmitri Peskow bereits vorsorglich klar. Die Grundorientierungen der sozial-ökonomischen Entwicklung würden nicht nur mit dem Wahlprogramm des Kandidaten übereinstimmen, sondern nach dem Urnengang am 18. März »in dieser oder jener juristischen Form fixiert«. Dies könne - Putins Wahlsieg vorausgesetzt - zum Beispiel per Ukas, also per Erlass des Präsidenten geschehen.

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