Die Hälfte der Beschäftigten arbeitet ohne Tarif
Bei der 7. Betriebsrätekonferenz kommen die Grenzen der Mitbestimmung in den Unternehmen zur Sprache
Arbeitsstellen mit leichten Tätigkeiten werden im Hausgerätewerk in Nauen wegrationalisiert, die Schwerbehinderten versuche das Unternehmen loszuwerden, beklagt eine Kollegin am Donnerstag bei der mittlerweile 7. Landesbetriebsrätekonferenz in der Potsdamer Staatskanzlei. »Das ist wirklich nur Profitmaximierung und nichts anderes. Der Mensch zählt nicht mehr«, ist die Frau überzeugt. »Es muss sich was ändern. So kann es nicht weitergehen.« 500 Festangestellte arbeiten ihr zufolge in dem Werk und 180 Leiharbeiter, die glücklicherweise auch Tariflöhne erhalten. Aber das sei nicht alles.
Und dabei gönnen nur 50 Prozent der Betriebe in Brandenburg ihren Mitarbeitern Tariflöhne. Es waren früher einmal 52 Prozent. »Es sind weniger geworden, das ist die bittere Wahrheit«, sagt Uwe Ledig von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten. Er wünscht sich, das Unternehmer, die schlecht bezahlen, keine »Staatsknete« mehr bekommen oder dass ihnen wenigstens beim Neujahrsempfang nicht noch die Hand geschüttelt wird. Auch andere Teilnehmer der Konferenz fordern, den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen. Doch er könne Unternehmern, die keine Tariflöhne zahlen, Fördermittel nicht komplett verweigern, bedauert Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD). Ganz machtlos ist er aber nicht. Wer sachgrundlos befristete Arbeitsverträge abschließt, dem wird die Förderung gekürzt, versichert Gerber.
Nur die Hälfte der Beschäftigten im Bundesland profitiere von Tarifvereinbarungen, weiß Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Das ist die Kehrseite seines eigentlich erfreulichen Befundes: »Noch nie waren bei uns mehr Menschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.« Betriebsräte seien unter anderem notwendig, damit mehr Menschen vom wirtschaftlichen Aufschwung etwas haben, findet Woidke. Eine Lohndifferenz von 19 Prozent zu Westdeutschland sei unmoralisch und nicht länger hinnehmbar, außerdem ein Standortnachteil im Wettbewerb um Fachkräfte.
Wenn Sozialministerin Diana Golze (LINKE) Firmen besucht, dann fragt sie nach dem Tarif, und sie möchte dort nicht nur die Chefs sprechen, sondern auch den Betriebsrat. Das Problem in Brandenburg ist, dass hier kleine Betriebe dominieren, die häufig keinen Betriebsrat haben. Aber auch bei den großen Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten hat jedes fünfte keinen Betriebsrat.
Wo Betriebsräte gegründet werden sollen, werden die Kollegen von den Bossen oft behindert, gemobbt oder sogar aus der Firma gedrängt, berichten Gewerkschafter. Einen Betriebsrat zu gründen sei »hammerhart, härter als Ministerpräsident zu sein«. Im besten Fall verstehen sich die Chefs und die Betriebsräte nicht als Gegner, sondern als Team, als Sozialpartner, meint Ministerpräsident Woidke. Leider ist dieser beste Fall alles andere als die Regel. Das zeigt sich allein schon bei der Organisation der jährlichen Betriebsrätekonferenz. Einige Teilnehmer müssen mit ihren Chefs erst diskutieren, ob sie für diesen Termin frei bekommen, obwohl dies doch ihr gutes Recht sei, erzählt der DGB-Landesbezirksvorsitzende Christian Hoßbach. »Billiglöhne bringen Brandenburg nicht weiter, Arbeitnehmer haben Rechte, und Fachkräfte wachsen nicht auf den Bäumen«, betont Hoßbach.
Doch so selbstverständlich wie dies klingt, ist es leider nicht. Im Lager des Onlinehändlers Zalando in Brieselang laufen die Kollegen beim Zusammensuchen bestellter Waren für die Pakete täglich 20 Kilometer. Doch dann müsse der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung noch diskutieren, ob der Weg zur Kantine auf die Pausenzeiten angerechnet wird. »Da fasst man sich an den Kopf«, sagt Gerber fassungslos. Die Beschäftigten müssten doch bei ihrer schweren Arbeit die Gelegenheit bekommen, sich zum Essen hinzusetzen.
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