»Faust« fürs Auge

Marmorsatan und Zauberweiber: Die Kunsthalle München fragt nach der Rolle von Goethes Drama in der Kunst

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 4 Min.

Malerei ist Teufelszeug! Wer hat das besser gewusst als Sigmar Polke? War das Atelier des 2010 verstorbenen Künstlers doch eine regelrechte Hexenküche, in der Sprühdosen, Harze, Säuren und andere Chemikalien zum Einsatz kamen. Insofern kann es nicht weiter überraschen, dass der kreative Alchemist 1988 ein finsterfarbiges Szenario aus Kreisen, Schlingerspuren und ausgelaufenem Lack »Mephisto« betitelte.

Als eine Art abstrakte Walpurgisnacht hängt die turbulente Materialmixtur nun in der Münchener Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung. »Du bist Faust« überschreibt sich die opulent inszenierte Schau. Mit ihren rund hundertfünfzig Werken gewährt sie Einblick in einen ganz besonderen Pakt: den zwischen Goethes »Faust« und den bildenden Künstlern, die das Menschheitsdrama zu Gemälden, Grafiken und Skulpturen angeregt hat. Vom frühen 19. Jahrhundert bis heute.

Nicht alles davon hätte vermutlich die Zustimmung des Weimarer Großdichters gefunden. Vielleicht deswegen empfängt den Besucher erst einmal das kritisch-hochstirnige Goethe-Porträt, das Joseph Karl Stieler 1828 schuf. Trotzdem meistert der Rundgang sein schwieriges Unterfangen. Die mit viel Mythos und Philosophie vollgestopfte Textmasse wird in Bildern verlebendigt. Wenn auch recht frei und von Exkursen unterbrochen, orientieren sich die Kuratoren am Handlungsverlauf des Dramas: vom Prolog im Himmel bis zur Kerkerszene.

»Faust« galt lange als eine Art Nationaltragödie der Deutschen, speziell die Nazigermanistik hat versucht, den Protagonisten für die Herrenmenschen-Ideologie zu vereinnahmen. Dabei belegt die künstlerische Rezeption das Gegenteil. Das Mensch-und-Teufel-Thema ist ein europäisches. Künstler aus England und Spanien, aus den Niederlanden und aus Russland haben sich damit auseinandergesetzt.

Schnell wird in München klar, wer die interessantere Figur des Ganzen ist. Nicht der Doktor und Magister heißende Weltsinnsucher namens Faust, sondern sein Gegenspieler aus der Unterwelt. Unzählige Maler und Bildhauer erlagen der Faszinationskraft des Bösen. Jacques-Louis Gautiers um 1853 entstandene Bronzestatuette etwa zeigt Mephisto als armen verfrorenen Teufel. Spindeldürr, wie er ist, scheint ihm das wärmende Höllenfeuer zu fehlen. Dagegen erträumt sich Mark Antokolskis sensibler Spätklassizismus 1883 einen tief vergrübelten Marmorsatan, dessen Pose ein wenig an Auguste Rodins »Denker« erinnert. Robert Mapplethorpe schließlich holt in einer fotografischen Selbstinszenierung von 1985 das eigene teuflische Unnbewusste heraus und klebt sich zwei Hörner an die Stirn.

Auch in der Film- und Theatergeschichte des Werks haben sich meist diejenigen Akteure verewigt, die mimisch gut waren im Bösesein. Videobeamer zaubern den diabolischen Gustaf Gründgens an die Wand. Oder den noch diabolischeren Klaus Maria Brandauer in der Kinofassung von Klaus Manns »Mephisto«-Roman.

Reizt an dem Höllenhelden vor allem die subtile Psychologie seiner Verführungen, entfesselt die Walpurgisnacht erotische Fantastik. Wie zumeist auf der Bühne ist das Hexenfest auch im Ausstellungsparcours der Höhepunkt. Unverschämt eindeutig lässt zum Beispiel Luis Ricardo Falero seine sehr jungen und sehr nackten Zauberweiber durch die Lüfte reiten.

Weit auseinander klaffen indes die Vorstellungen von Margarete beziehungsweise Gretchen. Setzen die einen Fausts Geliebte als tugendhafte Dorfschönheit ins Bild, ertasten andere die moralischen Sollbruchstellen der Figur. So sieht der von den Präraffaeliten beeinflusste Brite Frank Cadogan Cowper in Gretchen eine mit Spiegel und Juwelen ausstaffierte Allegorie der Eitelkeit. Ein ähnliches Luxusluder gibt auch Claudia Schiffer in Karl Lagerfelds fotografischem Goethe-Storyboard.

Weniger mitreißend fallen demgegenüber die Verbildlichungen von Faust selbst aus. Im Mittelalter-Mummenschanz der spätromantischen Malerei ist er entweder der zwischen Büchern eingegrabene Stubengelehrte oder der bunt herausgeputzte Strumpfhosen-Casanova, der ein keusches Gretchen umgarnt. Auch in puncto Gegenwartskunst bieten die Münchener zu wenig. Candida Höfers nüchtern-neusachliche Aufnahme von Goethes Arbeitszimmer und Anselm Kiefers Gemäldecollage »Dein goldenes Haar Margarete« bleiben hinter der aufwühlenden »Faust«-Performance, mit der Anne Imhof 2017 in Venedig triumphierte, zurück.

Gleichwohl könnte man viele Stunden in der Schau zubringen, ohne sich zu langweilen. Nicht zuletzt wegen der kongenial mit dem Thema abgestimmten Ausstellungsarchitektur. Ein Saal wurde zu einem historischen Theater umfunktioniert, mit begehbarer Osterspaziergangskulisse und den Klängen von Charles Gounods »Faust«-Oper aus dem Off. Anderswo haben die Szenographen hohe gotische Fenster in die Stellwände geschnitten, rote Teppiche ausgerollt oder Räume mit pseudoklassizistischen Tapeten ausgekleidet, aus deren Akanthusranken der Teufel herauslacht. Kurzum: ein »Faust« fürs Auge.

»Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst«, bis zum 29. Juli in der Kunsthalle München, Theatinerstr. 8

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