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Frau May und die Quadratur des Kreises
Die zurückliegende Woche offenbarte erneut: London muss sich entscheiden zwischen hartem Brexit oder Nordirland
Da ist sie extra ins italienische Florenz gereist, im vergangenen Herbst, um vor großer europäischer Kulisse eine Grundsatzrede über den Brexit zu halten - und dennoch muss Theresa May schon wieder ran. Ihre bereits dritte Grundsatzrede innerhalb eines Jahres hielt die konservative Regierungschefin am Freitagnachmittag in London. Das ist nicht gerade ein Zeichen der Stärke. Mays inzwischen größtes Problem, die Irland-Nordirlandfrage, bleibt derzeit unlösbar, egal wie viele Reden sie hält.
Doch der Reihe nach: Viele Monate wurde verhandelt zwischen London und Brüssel, um zunächst die Modalitäten für den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU zu regeln. Schon hier hatte sich Brüssel durchgesetzt, May hätte es gerne gesehen, wenn bereits von Beginn an Austritt und zukünftige Beziehungen parallel Thema gewesen wären. Aber die britische Regierung ist seit dem Verlust ihrer Parlamentsmehrheit im Juni 2017 schwach und zerstritten - und so hat Brüssel das Verhandlungszepter in der Hand. Nach zähem Hin und Her sowie mehreren Ultimaten kam schließlich im Dezember ein Papier zustande, das beide Seiten unterschrieben und auf dessen Grundlage der EU-Gipfel kurz darauf dem Eintritt in Phase zwei zustimmte. In dieser soll es um die zukünftigen Beziehungen - zum Beispiel ein Freihandelsabkommen - gehen.
Das Problem an diesem Papier: Es regelt zwei der drei aus Brüssler Sicht existierenden Knackpunkte, nämlich die »Abschlussrechnung« und die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien. Die Lösung des dritten und inzwischen kniffeligsten Problems - der irischen Grenze - wurde einfach aufgeschoben. Zudem sicherte sich die EU mit einer Klausel ab. Vereinbart wurde: Die Grenze zwischen Nordirland und Irland bleibt in jedem Fall offen, das Karfreitagsabkommen von 1998 in allen seinen Bestandteilen in Kraft. Sollte dies nicht anderweitig sichergestellt werden können, bleiben alle Regelungen, die nötig sind, um den Status quo auf der Grünen Insel aufrecht zu erhalten, einfach weiter bestehen.
Übersetzt heißt das: Entweder das gesamte Vereinigte Königreich bleibt in der Zollunion und dem Binnenmarkt der EU oder Nordirland erhält einen Sonderstatus. Beides aber geht für die derzeitige britische Regierung nicht. Ersteres ist ausgeschlossen, weil May - auch um die Scharfmacher in den eigenen Reihen in Schach zu halten - immer versprochen hat, aus Binnenmarkt und Zollunion auszutreten und kein »Norwegisches Modell« anzustreben. Zweiteres ist ebenso undenkbar, weil Mays Minderheitskabinett von den nordirischen Ultra-Unionisten der DUP ermöglich wird, für die der Erhalt der Integrität des gesamten Vereinigten Königreiches oberstes Dogma ist.
Damit war bereits im Dezember völlig klar, dass das Problem bald wieder auftauchen würde. May unterschrieb das Papier einzig, weil die Zeit knapp wurde und sie unbedingt wollte, dass der EU-Gipfel grünes Licht für die zweite Verhandlungsphase gibt. Doch auch London wusste: Früher oder später wird die Nordirlandfrage wieder auf den Tisch kommen. Diese Woche war es dann soweit.
Die EU-Kommission legte am Mittwoch den ersten Entwurf für einen Austrittsvertrag vor, in dem die Dezembervereinbarung juristisch umgesetzt wurde. May erklärte postwendend, sie sei empört, der Entwurf könne unmöglich von London unterzeichnet werden. Die »Times« sprach von Brandstiftung durch die EU. Warum? Weil der Vertragsentwurf - wenig überraschend - einen Sonderstatus für Nordirland vorsieht: den Verbleib in Binnenmarkt und Zollunion. Durch diesen »gemeinsamen Regelungsbereich« müssten Personen- und Warenkontrollen an die Grenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs verlegt werden. Dies würde »den gemeinsamen britischen Markt untergraben und die verfassungsmäßige Integrität des Vereinigten Königreichs bedrohen«, sagte May. »Kein britischer Premierminister könnte dem jemals zustimmen.« Die Empörung war freilich etwas wohlfeil, denn Vorschläge für einen anderen Weg, der ohne Sonderstatus für Nordirland und ohne harte Grenze auskommt, aber den Austritt aus Zollunion und Binnenmarkt ermöglicht, ist London bislang schuldig geblieben.
Die Pattsituation ist also selbstverschuldet. Und an dieser änderte auch ein Treffen Mays mit EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag rein gar nichts. Die beiden tauschten aus, was inzwischen alle wissen: Er sei »nicht glücklich« über den Rückzug Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion, so Tusk in London. May lehnte den EU-Vertragsentwurf ab, Tusk gab sich hingegen überzeugt, dass alle übrigen 27 Mitgliedsstaaten diesen ratifizieren würden.
Ähnlich ergebnislos blieb Mays Rede am Freitag. Es werde keine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland geben, aber auch keine zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreiches, wiederholte sie dort. Vorschläge, wie ein Zoll-Abkommen, das Grenzkontrollen überflüssig mache »durch technologische Lösungen und auf Vertrauen basierenden Abmachungen« klingen nicht danach, als würde sich die EU darauf einlassen. Die Suche nach der Lösung für die Quadratur des Kreises geht also weiter - doch wird die Zeit knapp. Brüssel drängelt, die Opposition drängelt, die eigene Partei ebenfalls. Vielleicht wird bald eine erneute Grundsatzrede nötig sein, in der May die Aufgabe des Ziels, aus Zollunion und Binnenmarkt auszutreten, bekanntgibt - oder aber eine Rücktrittsrede. Labour jedenfalls steht bereit - und hat eine Teillösung im Gepäck. Denn am Montag erklärte Jeremy Corbyn, seine Partei spreche sich nun für einen Verbleib in der Zollunion aus.
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