- Politik
- Öffentlicher Verkehr
Hauptsache kein Diesel-Fahrverbot
Debatten in Hessen über kostengünstige Nahverkehrsangebote
So war das Thema dieser Tage auch im Landtagsplenum in aller Munde. Hier brachte die oppositionelle LINKE einen Antrag ein, der auf einen ehrgeizigen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und die fahrscheinlose Benutzung von Bussen und Bahnen abzielt. Ein entsprechender Vorstoß der Bundesregierung pro Nulltarif könne durch Erhöhung des steuerfinanzierten Anteils an den Kosten der Nahverkehrsangebote und gezielte Umlagen finanziert werden, so die Linksfraktion.
Die regierende CDU sprach sich gegen die Idee eines Nulltarifs aus und auch ihr grüner Koalitionspartner zeigte sich in dieser Frage skeptisch. Für die Oppositionsparteien SPD und FDP liegt ein wesentlicher Schlüssel in einer zügigen Digitalisierung der Verkehrsangebote. Wie die CDU lehnen auch die Liberalen ein fahrscheinloses Verkehrsangebot ab. Der Antrag der Linksfraktion soll nun in den Ausschüssen weiter beraten werden.
Einen Steinwurf vom Landtagsgebäude entfernt gab man sich im Wiesbadener Rathaus gleich nach der Verkündung des Leipziger Richterspruchs gut vorbereitet. »Die Uhr tickt. Wir haben einen Monat Zeit, um mit neuen und hochwirksamen Maßnahmen das Wiesbadener Verwaltungsgericht zu überzeugen, in unserem Fall doch auf die Festsetzung pauschaler Fahrverbote zu verzichten«, ließen Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) und sein Umweltdezernent Andreas Kowol (Grüne) die Öffentlichkeit wissen. »Nach allen Erfahrungen lassen sich die Gerichte von vagen Ankündigungen und kosmetischen Maßnahmen nicht beeindrucken«, so die Kommunalpolitiker. »Wenn wir Fahrverbote verhindern wollen, müssen wir einiges umkrempeln.«
Wiesbaden ist mit seinen 280 000 Einwohnern neben Münster (Westfalen) die größte deutsche Kommune ohne innerstädtischen Straßenbahnverkehr. Demgegenüber betreiben ostdeutsche Städte wie Brandenburg an der Havel, Nordhausen oder Gotha mit einem Bruchteil dieser Einwohnerzahl mehrere Straßenbahnlinien. Zweimal war seit der Jahrtausendwende ein Vorstoß zum Bau einer Wiesbadener Stadtbahn am strikten Widerstand der FDP und der mangelnden Entschlossenheit anderer Akteure gescheitert. Nun soll hier nach dem Willen der meisten Rathausparteien quasi als Verlängerung des Straßenbahnnetzes in der Nachbarstadt Mainz in den kommenden Jahren eine »CityBahn« eingerichtet werden.
Weil diese noch vage Aussicht für die Verwaltungsrichter nicht ausreichen dürfte, wollen Gerich und Kowol umgehend in einem »Sofortpaket« auf einer dreispurigen Durchgangsstraße eine Spur durchgehend für den Bus- und Radverkehr umwidmen und auf einer weiteren Straße den Durchgangsverkehr durch bessere Ampelschaltungen optimieren. Park & Ride-Plätze sollen eingerichtet und ausgebaut werden. Kowol möchte sich beim Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) für eine größere Sitzplatzkapazität und einen Ausbau des Fahrplantaktes regionaler Bahnlinien einsetzen. Der häufigen Blockade von Busfahrstreifen durch Lieferfahrzeuge soll die kurzfristige Einrichtung sogenannter Mikro-Depots am Rand der Innenstadt entgegen wirken, von denen aus Zusteller die »letzte Meile« mit E-Cargobikes oder anderen kleinen, leichten Elektrofahrzeugen bewältigen können. Dieses Projekt soll eine von der Stadtverwaltung neu eingerichtete Stelle für »City-Logistik« in die Hand nehmen, sagte Kowol.
Auch wenn die Bundesregierung mit der Idee eines komplett kostenfreien ÖPNV »vielleicht übers Ziel hinausgeschossen« sei, müssten Busse und Bahnen günstiger werden, so Gerich. »Warum nicht nach dem Wiener Vorbild auf ein 365 Euro-Jahresticket gehen?« Tatsächlich gehört der RMV zu den teuersten Verkehrsverbünden der Republik. Für einen Euro pro Tag können Schüler allerdings landesweit Busse und Bahnen des Nahverkehrs benutzen. Landesbedienstete haben seit Jahresbeginn nach einem Tarifvertrag hessenweit freie Fahrt in Bussen und Bahnen. Dies dürfte über den Wunsch nach einem Sozialticket für ärmere Menschen hinaus Forderungen nach Nulltarif für alle sechs Millionen Hessen beflügeln.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.