Identität als Inhalt: Eine Verschleierungstaktik

Ein Ossi im Kabinett bringt noch keinen Aufschwung, schafft weder unbefristete Arbeitsplätze noch Infrastrukturprojekte für den öffentlichen Personennahverkehr

  • Roberto De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon als es noch ein Schattenkabinett war, regte sich der Widerwillen zur geplanten Kabinettsbildung. Da sei ja gar kein Minister dabei, der aus den neuen Bundesländern käme. Nur die Bundeskanzlerin selbst sei aus dem Osten. Sonst nur Westdeutsche. Der Osten wäre unterrepräsentiert. Das sei ein fatales Zeichen für die Bürgerinnen und Bürger, die dort leben. So ein Schattenkabinett habe vor allem eines: einen Schatten. Denn wer so fahrlässig einen Teil des Landes ohne landsmännischen Vertreter darben lasse, der müsse ja was am Sträußchen haben – denn der fördere ja genau jene Verdrossenheit, deren Auswirkungen man ohnehin schon seit Jahren spüre.

Bis zuletzt hatten wir noch einen Bundesinnenminister, der zwar nicht im Osten geboren war, aber einen großen Teil seiner famosen Familie dort wusste und der selbst seinen Lebensmittelpunkt nach Dresden verlagerte. Und was hat es den Ostdeutschen eingebracht? Teile einer Antwort könnten die Leserschaft verunsichern. Denn außer Rechtfertigungen für rüde Polizeieinsätze gegen Flüchtlingskinder in Sachsen kam wenig Verständnis für den Osten auf. Da tat er es seiner Kanzlerin gleich, die als Uckermärkerin aus einer der ärmsten Regionen Deutschlands kommt. Die Uckermark blüht seither auch weiterhin nur im Frühling – für wirtschaftliches Aufblühen hat es bis heute nicht gereicht.

Sollte man im Jahr 2018 nicht endlich genug Erfahrungen gesammelt haben, die solche identitätsstiftenden Einordnungen überflüssig machen? Frau Thatcher hat doch keine emanzipatorische Sozialpolitik für ihre Geschlechtsgenossinnen umgesetzt. Für »Welfare Queens«, wie ihr Amtskollege aus Übersee, Mister Ronald Reagan, alleinerziehende Frauen aus der Unterschicht galant titulierte, hatte auch sie nichts übrig. Während hierzulande Uckermärkerinnen mit der Strukturschwäche ihrer heimischen Gefilde leben müssen, drechselt die Verteidigungsministerin Kriegsrhetorik für rekrutierte Söhne und Töchter - von Mutter zu Mutter gewissermaßen.

In der Amtszeit von Obama starben auch weiterhin Schwarze durch exzessive Polizeigewalt. Schwarze mussten allerlei Alltagsrassismen durchleiden und erlitten gleichwohl schwere Diskriminierungen. Der erste schwarze Präsident hat zu keiner Massensensibilisierung geführt, so wie man sich das erhofft hatte. Schwarze saßen und sitzen weiterhin überrepräsentiert in Gefängnissen: 37 Prozent der Insassen sind schwarz, obgleich sie nur 13 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Das Bureau of Labor Statistics belegte 2013, dass der durchschnittliche wöchentliche Vollzeitlohn bei Schwarzen um gut 22 Prozent niedriger liegt. Das durchschnittliche Familienvermögen ist bei Weißen sechseinhalb Mal so hoch. Das stellt sogar noch eine Verschlechterung dar, denn 1983 hatten Schwarze »nur« fünfmal so wenig.

Wie gesagt, Erfahrungen mit der Identitätskarte haben wir doch nun wirklich genug gesammelt, um deutlich erkennen zu können: So geht Politik nicht. Das ist nur Folklore. Es gehört schon ein viel längerer Atem dazu, um gesellschaftliche Verwerfungen zu regulieren. Ein Ostdeutscher im Kabinett bringt noch keinen Aufschwung, schafft weder ordentliche, gut bezahlte und unbefristete Arbeitsplätze noch Infrastrukturprojekte für den öffentlichen Personennahverkehr. Der Wahldresdner und Ex-Minister Thomas de Maizière (CDU) hat eigentlich nie was zur hundsmiserablen Verkehrsanbindung der Ortschaften in Mecklenburg-Vorpommern artikuliert.

Identitätsstiftung dieser Machart ist hingegen sogar gefährlich, weil sie verschleiert. Wenn man eine Bundeskanzlerin als Beispiel gelungener Emanzipation präsentiert, rückt man das Schicksal von Frauen, die beispielsweise als Alleinerziehende in einem Minijob festsitzen, einfach mal in den Backstage-Bereich des Theaters. Vor diesem Hintergrund ist natürlich eine Kanzlerin, die aus der ärmsten Region der Bundesrepublik kommt, die Frau ist und aus dem Osten des Landes stammt, eine gefährliche Mischung zur Verschleierung unserer Missstände. Denn sie kann ja auf allen Ebenen als blendender Beleg angeführt werden, dass dieses Land doch irgendwie durchlässig ist. Identität kann jedoch Inhalte nicht überwinden – und nicht selbst zum Inhalt werden. Identität ist oft das Gegenteil von dem, was man in sie hineininterpretiert.

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