Freund der Wirtschaft und des Abschiebens

Horst Seehofer hat die CSU nach ihrer Wahlschlappe vor zehn Jahren wieder aufgerichtet. Nun gibt er sein Amt ab

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn an diesem Freitag der bayerische Landtag den CSU-Politiker Markus Söder zum neuen Ministerpräsidenten des Freistaates wählt, dann ist damit die zehnjährige Ära Horst Seehofer endgültig abgeschlossen. Er hatte sein Amt bereits am Dienstag abgegeben. Die Bilanz seines Wirkens fällt unterschiedlich aus und hat - wen wundert es - viel mit der eigenen sozialen Lage zu tun. Die bayerische Wirtschaft frohlockt angesichts der Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre, die maßgeblich von der CSU bestimmt wurde. »Die Wirtschaft im Freistaat ist in einer ausgesprochen guten Verfassung«, so die Bilanz von Eberhard Sasse, Präsident der Industrie- und Handelskammern in Bayern (BIHK). Vor allem, dass Seehofer sich in den bundespolitischen Debatten zur Zukunft der Erbschaftsteuer »aktiv und mit Erfolg vor den bayerischen Mittelstand gestellt und damit Schlimmeres« verhindert habe, macht den Wirtschaftsbossen gute Laune. Mit »Schlimmeres« meinen sie die Erhöhung der ohnehin im internationalen Vergleich geringen Steuer für Firmenerben.

Der BIHK-Präsident lobte Seehofer außerdem ausdrücklich für seine »Bürgernähe und seinen ausgleichenden Politikstil«, der alle gesellschaftlichen Gruppen einbeziehe. Und: »Auch wenn sich die Wirtschaft bei der Energiewende oder beim Flughafenausbau in München schnellere Entscheidungen gewünscht hätte, ist Horst Seehofer in diesen Fragen erfolgreich als Problemlöser aufgetreten und hat immer den Weg zu einem nachhaltigen Konsens gesucht«, so Sasse. Auch das Primat der schwarzen Zahl freut die Wirtschaft, seit dem Jahr 2006 würden keine neuen Schulden im allgemeinen Haushalt gemacht und seit 2012 die Verschuldung getilgt. »Seehofer hinterlässt damit ein gut bestelltes Haus. Die bayerische Wirtschaft ist überzeugt, dass sich der zukünftige Bundesinnenminister auch in seinem neuen Amt tatkräftig und vorausschauend für den Standort Bayern einsetzen wird«, so das Lob des BIHK-Präsidenten.

Ganz anders fällt die Bilanz für die schwächsten Gruppen der Gesellschaft aus, zum Beispiel für Asylbewerber. Als »rückwärtsgewandt und integrationsfeindlich« kritisierten jüngst mehrere Hilfsorganisationen die bayerische Flüchtlingspolitik in einem Offenen Brief an die Staatsregierung. Denn die Bayerische Staatsregierung tue so, als wäre die Ankunft von Geflüchteten noch immer eine Krise. Die Krise gestalte aber Bayerns Regierung längst selbst: »Die einseitige Ausrichtung auf die Ausreise und Abschiebung von Flüchtlingen verhindert Integration, schürt Vorurteile und Rassismus. Das gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt, das schadet der Integration auch anerkannter Flüchtlinge. Es sieht nicht so aus, als würde sich dies unter einem neuen Ministerpräsidenten Markus Söder ändern«, so die Unterzeichner, darunter der Bayerische Flüchtlingsrat und die Regensburger »Initiative Ausbildung statt Abschieben«.

Hintergrund ist die Erfahrung vieler Organisationen, dass die einseitige Ausrichtung auf Abschiebungen in Bayern auch viele Geflüchtete blockiere und ängstige, die gute Chancen auf ein Bleiberecht haben. Zudem müsse daran erinnert werden, dass man erst vor einigen Jahren Bleiberechtsregelungen für gut integrierte Flüchtlinge eingeführt habe, deren Asylantrag erfolglos war, die aber dennoch Deutschland nicht verlassen haben und auch nicht abgeschoben werden können. All diese Schutzsuchenden würden aktuell im Freistaat mit Arbeits- und Ausbildungsverboten belegt, so dass eine Integration in den qualifizierten Arbeitsmarkt blockiert sei.

Die unterzeichnenden Organisationen warnen davor, dass diese Politik enorme Probleme für die Zukunft bereithalte. Nicht nur die Flüchtlinge seien zunehmend frustriert, auch die vielerorts tätigen Ehrenamtlichen gäben inzwischen häufig auf. Ebenso distanzierten sich viele Betriebe von der Integration von Flüchtlingen. »Der soziale und wirtschaftliche Schaden, den diese auf Ausgrenzung ausgerichtete Politik anrichtet, ist immens. Wir weisen darauf hin, dass das Innenministerium und seine Ausländerbehörden Integration nicht leisten können. Wenn Ehrenamtliche und Betriebe wegbrechen, dann wird die Desintegration von Flüchtlingen aktiv gefördert. Dies ist eine Politik, die rückwärtsgewandt ist, statt auf die Zukunft ausgerichtet. Illegalisierung, Kriminalisierung und Ausgrenzung sind die Effekte einer solchen Flüchtlingspolitik. Das kann sich niemand wünschen«, so Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats.

Seehofer als Freund der Wirtschaft und als Freund von Abschiebungen - was hat diese Haltung der CSU eigentlich eingebracht? Seehofer hat die Partei nach dem Tief von 2008, als die Konservativen die absolute Mehrheit im Landtag verloren und einige Jahre gemeinsam mit der FDP regieren mussten, wieder aufgerichtet. Jedenfalls bis zum vergangenen Jahr, als die Bundestagswahlen für die sogenannten Christsozialen mit Stimmverlusten von zehn Prozentpunkten endeten. Im Aufwind ist nun die AfD. Bei der Landtagswahl im Oktober drohen der CSU weitere Stimmenverluste. Nach aktuellen Umfragen kommt sie auf 42 Prozent und müsste sich einen Koalitionspartner suchen, um weiter regieren und den Ministerpräsidenten stellen zu können.

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