Brandenburg will zwischen 30 und 60 Jesiden aufnehmen

Die rot-rote Landesregierung hat eine halbe Millionen Euro bereitgestellt, um Frauen und Kinder versorgen zu können

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Angriffskrieg des NATO-Mitglieds Türkei auf den Norden Syriens war am Montag Gegenstand einer Pressekonferenz im Potsdamer Landtag. Die jesidische Ärztin Melav Bari warb eindringlich dafür, dass Deutschland der Türkei die militärische Unterstützung entziehen möge. Sie zeigte sich dankbar dafür, dass das Land Brandenburg Jesiden sowohl in Nordirak hilft, als auch ihnen in Brandenburg selbst Schutz gewährt.

Die Ärztin, die unweit von Bremen praktiziert, zitierte Verwandte, die noch in der angegriffenen syrischen Stadt Afrin den Waffen der türkischen Armee und ihrer Verbündeten ausgesetzt sind. Es gebe Plünderungen, bislang etwa 400 tote Zivilisten, über 300 Verschleppungen und eine spezifische Verfolgung religiöser Minderheiten. Die Häuser dieser Minderheiten werden laut Bari markiert und angegriffen. Die Türkei plane, die Bewohner zu vertreiben, um die Häuser mit Muslimen zu besiedeln, die in die Türkei geflohen waren.

Der Staudamm, der die Wasserversorgung im bis dato friedlichen Afrin gewährleistet habe, sei zerstört, Hunderttausende Menschen seien in Bergregionen auf der Flucht, abgeschnitten von jeglicher Hilfe. Es sei unbegreiflich, dass die NATO ihr Mitglied Türkei in einer Weise gewähren lasse, die dem Völkerrecht Hohn spreche. Schnellstens müsste ein Eingreifen des Westens für die Sicherheit der Minderheiten sorgen, zu denen neben Jesiden auch die Christen gehören würden.

Nachdem die Jesiden bis 2014 Opfer der Terrororganisation Islamischer Staat gewesen seien, wiederhole sich dies nun - entgegen den Schutzzusagen des Wesens - im Norden Syriens und Iraks.

Die einzigen regionalen Kräfte, die an der Seite des Westens wirksam gegen den Islamischen Staat (IS) gekämpft haben, die Kurden, werden nun von allen im Stich gelassen, beklagte Holger Geisler, ehemaliger Sprecher des Zentralrates der Jesiden. Dadurch erstarke der IS wieder. Obwohl alle Bundestagsfraktionen und auch der wissenschaftliche Dienst des Parlaments das türkische Vorgehen verurteilten, tue die Bundesregierung nichts dergleichen. Geisler verwies auf rund 1000 ablehnende Asylbescheide für Jesiden in Deutschland, die mit unbegreiflichen Begründungen ergangen seien.

Geisler lobte das Bundesland Baden-Württemberg für die Aufnahme von rund 1100 Frauen und Kindern der Jesiden, die in IS-Gefangenschaft Schlimmstes erleiden mussten. Niedersachsen nehme 100 Jesiden auf, Schleswig-Holstein 30. »Aber noch leben 2500 Menschen im Dreck der Lager«, sagte Geisler. Für das Sonderaufnahmeprogramm des Landes Brandenburg, das sich zur Aufnahme von traumatisierten Jesidinnen und Jesiden bereiterklärt hat, zeigte sich Geisler dankbar. »Es könnte nur mehr Tempo gemacht werden.«

Staatssekretär Martin Gorholt (SPD) informierte darüber, dass die rot-rote Landesregierung eine halbe Million Euro bereitgestellt habe, um zwischen 30 und 60 einst gefangene Jesiden aufzunehmen. Noch einmal eine halbe Million gebe es für den Aufbau eines Schutzbereichs im Norden Iraks. Wo die in vielerlei Hinsicht misshandelten Menschen »erst einmal zur Ruhe kommen« könnten. Um diese Ziele umzusetzen, nehme das Bundesland Kontakte zum UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, auf.

Gorholt erklärte, im Mai selbst in den Nordirak fliegen zu wollen, um die Reise in die Wege zu leiten. An zwei Stellen würden die Jesiden in Brandenburg geschützt unterkommen können. Gorholt verwies auf ein Hilfsprogramm Kanadas, in dessen Rahmen 1000 Jesiden in Amerika Aufnahme finden. Ausdrücklich lehnte Gorholt es ab, das türkische Vorgehen und der Haltung der Bundesregierung zu den Vorgängen im Norden Syriens zu bewerten.

Nicht so die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE). Ihr zufolge schickt die Türkei islamistische Söldner vor, um Menschen abzuschlachten. »Die NATO schweigt dazu und lässt sie gewähren.« Unter den Aggressoren seien viele einstige IS-Kämpfer, ausgebildet und ausgerüstet in der Türkei. Wenn die Türkei auf diese Weise schwerste Menschenrechtsverletzungen verübe, dann sei Deutschland »selbstverständlich mit schuld«. Denn die Waffenlieferungen an den NATO-Partner Türkei würden diese Aggression ermöglichen. Inzwischen ist ein von der Bundesrepublik gelieferte Leopard-Panzer Johlige zufolge vor dem Rathaus von Afrin gesichtet und dokumentiert worden. »Wir können davon ausgehen, dass ein Völkermord an den Jesiden begonnen hat.« In dieser Dimension sei das Geschehen in der jüngeren Geschichte ohne Beispiel.

Derzeit leben in Deutschland etwa 200 000 Jesiden. Laut der Ärztin Bari gelten sie Islamisten als »Anbeter des Bösen« und werden gnadenlos verfolgt. Geisler zufolge betrachten strenggläubige Moslems die Jesiden als Ungläubige ohne Buchreligion, die »geblendet« gehören. Dieser Ausdruck wäre gleichzusetzen mit umgebracht.

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