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Putin: »Wir können das schaffen«

Präsidentenwahlen mit dem Enthusiasmus der Sowjetzeit und »Fake-Unregelmäßigkeiten«

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 6 Min.

»Wir müssen einen Durchbruch, einen Sprung schaffen«, gab Wahlsieger Wladimir Putin als innenpolitisches Ziel seiner vierten Präsidentschaft am Montag aus. Das Wahlergebnis wertete er als Zeichen des »Vertrauens und der Hoffnung« des russischen Volks. Es sei auch eine »Anerkennung« dafür, dass unter schwierigen Bedingungen vieles erreicht worden sei. Um voranzukommen, sei es »sehr wichtig, diese Einheit zu erhalten«, forderte Putin noch am Wahlabend.

Außenpolitisch versicherte der Präsident und Oberkommandierende, Russland wolle keinen Rüstungswettlauf, sondern mit anderen Ländern zusammenarbeiten. Am 1. März hatte Putin in seiner Botschaft an die Nation eine Reihe neuer Waffensysteme vorgestellt. Damit könnten Verteidigungssysteme der NATO überwunden werden, sagte er. Eine Hyperschall-Rakete wurde nach russischen Medienberichten eine Woche darauf erfolgreich getestet.

Die innere Entwicklung stehe im Mittelpunkt seiner Präsidentschaft, kündigte Putin an. Als vorrangig bezeichnete er das Wachstum der russischen Wirtschaft und Innovation. Es geht dabei um ein Programm der Reform und Modernisierung Russlands. Die Hoffnung, der Kreml wolle mehr Demokratie wagen, verbindet sich mit der Ankündigung größerer »Freiheiten in allen Bereichen« und der Stärkung der Zivilgesellschaft. Nach seinem bislang besten Ergebnis versicherte Putin in einem Dank an das Wahlkampfteam: »Wir können das schaffen.«

Diese Orientierungen, so hatte der Kreml bereits vor dem Urnengang mitgeteilt, werde bei einem Erfolg zur praktischen Politik des Präsidenten und auch per Erlassen umgesetzt. Unmittelbar nach dem Wahltag unterzeichnete Premierminister Dmitri Medwedjew ein Dokument zur Ausarbeitung der entsprechenden Programme für die weitere Tätigkeit der Regierung. Noch in der Wahlnacht kündigte Putin Veränderungen im Kabinett an. Details nannte er zunächst nicht. Zugleich sagte er bei einer Siegesfeier vor Anhängern, nun sei es wichtig, auch die Verlierer der Wahl und ihre Wähler für seine Politik zu gewinnen.

An den »Enthusiasmus der Sowjetzeit« sah sich am Sonntag die »Njesawissimaja Gasjeta« erinnert. Der Führung sei es gelungen, die Abstimmung zu einem Festtag zu machen, ohne die organisatorische Seite des Prozesses zu vernachlässigen. So konnte in Wahllokalen auch preiswert eingekauft und sogar gegessen werden. Als weiteren »wichtigen Faktor« des Erfolges nannte das in Moskau erscheinende Blatt die »sich stark verschärfende äußere Bedrohung«. Sie wecke bei den Russen traditionell den Wunsch, sich um die Führung zu scharen.

Wahlleiterin Ella Pamfilowa bestätigte nach der Auszählung: »Unser Volk vereint sich immer in schweren Minuten.« Deshalb statte sie ihren Dank einigen westlichen Führern ab, deren Namen sie aber nicht nennen wolle. An erster Stelle dürften das wohl die britische Premierministerin Theresa May und ihr Außenminister Boris Johnson sein, die im Fall des Giftanschlags auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal Moskau heftig attackieren, Beweise bislang allerdings schuldig bleiben.

Präsident Putin versicherte nach seiner Wiederwahl: »Russland hat dieses Mittel nicht, wir haben alle unsere chemischen Waffen unter Kontrolle internationaler Beobachter vernichtet.« Als er aus den Medien von dem Fall erfahren habe, hätte er als erstes gedacht: »Wenn das ein militärischer Kampfstoff war, dann wären die Leute auf der Stelle tot gewesen.« Früher oder später werde »man sich für diese fadenscheinigen Anschuldigungen verantworten müssen«, meinte sein Sprecher Dmitri Peskow. »In diesem Fall handelt es sich um einen schwer erklärbaren, unfassbar motivierten und grundlosen Strom von Verleumdungen gegen Russland von Seiten Großbritanniens, von Seiten der Führung Großbritanniens.« Eine Erklärung der EU-Außenminister blieb Montag hinter der Schärfe früherer westlicher Schuldzuweisungen an Russland etwas zurück.

Die Mobilisierung der Wähler gelang. Ganze Familien strebten zuerst auf Kamtschatka im Fernen Osten und zum Abschluss in der Exklave Kaliningrad zu den Wahlurnen. Erstmals nahmen dieses Jahr auch die Bürger auf der Krim an einer russischen Präsidentschaftswahl teil. Bereits am Vormittag waren Werte der vorherigen Präsidenten- und Parlamentswahlen übertroffen worden. Am frühen Nachmittag meldeten in der Hauptstadt einige Wahllokale über 50 Prozent Beteiligung. Wenn auch mit gut 67 Prozent das angebliche Wunschziel des Kreml von über 70 Prozent verfehlt wurde, lobte der Parlamentsvorsitzende Wjatscheslaw Wolodin, vor allem die hohe Wahlbeteiligung habe gezeigt, dass »das Volk hinter Putin steht«.

Dafür hätten nach der kritischen Einschätzung des Politologen Andrej Kopjagin auch die Gegenkandidaten gesorgt. Sie erwiesen sich zwar als chancenlos, hätten aber eine »schöne Show« geboten. Dies würde der kommunistische Kandidat Pawel Grudinin, der mit 11,9 Prozent das zweitbeste Ergebnis erzielte, sicher nicht bestätigen. Er beklagte einen unfairen Ablauf. Allerdings habe er »Russland als Trampolin für das Gebiet Moskau« benutzt, vermutet der Analytiker Boris Kagarlitzki. Dort wolle der erfolgreiche Unternehmer Gouverneur werden.

Mit den gewohnten Entgleisungen wartete Rechtspopulist Wladimir Schirinowski von der Liberal Demokratischen Partei auf und erreichte knapp sechs Prozent. Die liberale TV-Journalistin Xenija Sobtschak provozierte er, ihm ein Glas Wasser ins Gesicht zu schütten. Sie selbst konnte in einem TV-Duell ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, holte am Ende 1,67 Prozent. Der unauffällige Jabloko-Mitbegründer Grigori Jawlinski kam auf gut ein Prozent. Die drei anderen Kandidaten konnten jeweils nur weniger als ein Prozent der Stimmen auf sich vereinen.

Der Kreml habe es dem Oppositionellen Alexej Nawalny faktisch gestattet, seinen »Wählerstreik« zu organisieren, vermerkten Beobachter. Das sei jedoch nicht wenigen Wählern als »Verrat« erschienen und habe keine Massenbasis gefunden. Später schimpfte der von der Wahlkommission wegen früherer Verurteilungen aussortierte Kandidat: »Wer wählen ging, hat einen Fehler gemacht. Diese Kandidaten waren Ihrer nicht würdig!«

Ein Lob für die technische Umsetzung durch die Wahlleitung und Kritik an der Fairness kam von internationalen Beobachtern. Der Ablauf wurde von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) als grundsätzlich korrekt bezeichnet. Die Wahl sei »in der Gesamtheit in geordneter Weise« abgelaufen, »trotz Verfahrensfehlern während der Abstimmung und bei der Stimmauszählung«. Beanstandet wurde fehlender Wettbewerb und die Einschränkung von Freiheiten. »Eine Auswahl ohne echten Wettbewerb ist leider keine echte Auswahl«, sagte Michael Georg Link, Leiter der Beobachtermission, laut dpa.

Es seien Fälle von Mehrfachabstimmung registriert worden, räumte Jan Petersen von der OSZE ein. Er nannte aber keine Details. In ihrer Mitteilung kritisierten die Beobachter Mängel bei der Transparenz der Wahl und bei der Wahrung des Wahlgeheimnisses. Zudem habe Amtsinhaber Wladimir Putin im Wahlkampf deutlich mehr Aufmerksamkeit in der Medienberichterstattung bekommen als die sieben Mitbewerber.

Konkreter waren die Vorwürfe der russischen Beobachterorganisation Golos. Landesweit seien rund 3000 Unregelmäßigkeiten registriert worden, hieß es auf deren Webseite. Die Beobachter nannten Fälle von mehrfacher Stimmabgabe, fehlerhaften Wählerlisten und defekten Wahlurnen.

Die Zentrale Wahlkommission mochte viele Beschuldigungen nicht auf sich sitzen lassen. So habe es viele »Fake-Unregelmäßigkeiten« gegeben, machte deren Vizechef Nikolai Bulajew gelten. »Fake-Beschwerden«, sah auch Andrej Kondraschow, Pressesprecher des Wahlteams Putins. Es gab Provokationen und werde »gezielt darauf hingearbeitet, die Wahlen zu diskreditieren«. So habe ein »Videobeweis« über eine zweifache Stimmabgabe in Moskau gar nicht aus dem betreffenden Wahllokal gestammt.

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