Für die Gletscher ist es fünf nach zwölf

36 Prozent des Eises werden langfristig verloren gehen

  • Lesedauer: 3 Min.
Bremen. Die Gletscher werden weiter schmelzen - selbst wenn sich alle Länder an das internationale Klimaabkommen von Paris halten. Zu dem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Bremen und Innsbruck die im Fachmagazin »Nature Climate Change« veröffentlicht wurde. Danach werden etwa 36 Prozent des Gletschereises langfristig verloren gehen.

Nach den Berechnungen der Forscher macht es dabei keinen Unterschied, ob der Anstieg des globalen Durchschnittstemperatur wie im Pariser Abkommen vereinbart auf zwei Grad oder im besten Fall 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt wird. »Das spielt eine überraschend und auch frustrierend geringe Rolle - zumindest für das laufende Jahrhundert«, sagte der Bremer Klimaforscher Ben Marzeion.

Der Grund: Die Gletscher reagieren langsam auf klimatische Veränderungen. Deshalb wird sich erst im nächsten Jahrhundert zeigen, ob der Klimaschutz erfolgreich war. Die Wissenschaftler haben errechnet, dass jedes Kilogramm Kohlendioxid, das wir heute ausstoßen, langfristig 15 Kilogramm Gletschereis schmelzen lässt. »Alle 500 Meter Autofahrt geht ein Kilo Gletschereis verloren«, hieß es.

Wenn es das Ziel wäre, den aktuellen Umfang des Gletschereisbestandes zu erhalten, müsste das Temperaturniveau aus vorindustriellen Zeiten erreicht werden. »Das ist natürlich nicht möglich«, sagte Gletscherforscher Georg Kaser von der Universität Innsbruck. »Wir haben in der Vergangenheit durch Treibhausgasemissionen bereits Entwicklungen angestoßen, die sich nicht mehr aufhalten lassen. Für die Gletscher ist es fünf nach zwölf.«

Torsten Albrecht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der nicht an der Studie beteiligt war, meinte: »Dies zeigt sowohl die historische Dimension unserer Verantwortung für die folgenden Generationen als auch die Notwendigkeit, das Zeitalter fossiler Energienutzung so rasch wie möglich hinter uns zu lassen.«

Für die Studie hatten Marzeion und seine Kollegen die Entwicklung der 200 000 Gletscher weltweit modelliert und aufaddiert, um eine globale Summe zu errechnen. Dabei bezogen sie Höhe und Größe der Gletscher, regionale Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse, Daten aus Klimabeobachtungen und künftige Klimaszenarien mit ein. »Die globalen Zahlen sind interessant, weil sie die zentrale Rolle für den Anstieg des Meeresspiegels spielen«, so Marzeion.

Die Eisschilde in der Antarktis und Grönlands sowie die Eisberge dort haben die Forscher nicht berücksichtigt. »Wir haben weniger als ein Prozent der weltweiten Eismasse erfasst«, sagte Marzeion. »Aber diese kleinen Gletscher tragen ungefähr genauso viel bei zum Meeresspiegelanstieg wie die Eisschilde Grönlands und in der Antarktis.« Denn die kleineren Gletscher würden schneller schmelzen. Gerade für diese sei es entscheidend, ob die Temperatur künftig um 1,5 oder 2 Grad steige, betont Glaziologieexperte Tobias Bolch von der Universität Zürich. »Es ist lange bekannt, dass Gletscher in verschiedenen Regionen der Erde in unterschiedlichem Ausmaß reagieren.« Aussagen zu den regionalen Auswirkungen zum Beispiel in den Alpen könne die Studie allerdings nicht machen.

Johannes Fürst vom Institut für Geografie der Universität Nürnberg-Erlangen sieht darin den wunden Punkt der Studie. »Natürlich gibt es regional Unterschiede im erwarteten Gletscherrückzug. Unberücksichtigt bleiben Faktoren wie Schuttbedeckung, Eisdynamik, lokale Gegebenheiten der Sonneneinstrahlung sowie das lokale Mikroklima.« dpa/nd

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