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- Polizei findet Chemikalien bei linkem Aktivisten
CDU und AfD schlachten Debatte um Sprengstoff-Fund aus
Thüringer Landesparlament befasst sich mit dem Fall / Rot-Rot-Grün weist Kritik zurück und mahnt, Ermittlungen abzuwarten
Eigentlich konnte niemand mit dem rechnen, was Ermittler vor wenigen Tagen in Ostthüringen fanden, als sie insgesamt vier Objekte durchsuchten. Eine Frau hatte ihnen etwas mehr als eine Woche zuvor den Hinweis gegeben, zwei Männer würden mit Sprengstoff hantieren. In Rudolstadt und der nicht weit entfernt liegenden Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel stellten Polizisten nach Angaben des Thüringer Innenministeriums nicht nur etwa 100 Kilogramm Chemikalien sicher, die sich zum Bau von Bomben eignen - darunter 75 Kilogramm Kunstdünger, zwei Kilogramm Schwefelpulver sowie Kaliumnitrat. Sie fanden auch 2,3 Gramm eines Sprengstoffs namens ETN. Der explodiert mit größerer Wucht als der ziemlich bekannte Sprengstoff TNT. »Insofern ist die geringe Menge nicht unerheblich«, sagte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD). Und die Liste dessen, was die Ermittler bei den 25- und 31-jährigen Männern noch so alles fanden, ist damit noch lange nicht zu Ende.
Kaum allerdings war die Nachricht von den Durchsuchungen und den Funden in der Welt, da konnte man mit gutem Gewissen darauf warten, dass genau die politische Diskussion darum geführt werden würde, die es am Dienstag sogar bis in den Thüringer Landtag geschafft hat: die darum nämlich, ob im von Rot-Rot-Grün regierten Thüringen solche Funde von den Ermittlungsbehörden und vor allem vom Regierungsteil der Landespolitik so ernst genommen werden, wie sie sollten. Was einerseits ein bisschen mit der Menge der sichergestellten Chemikalien und der Qualität des Sprengstoffes zu tun hat. So viel Sprengstoff findet sich nicht jeden Tag in Deutschland.
Andererseits aber hat das vor allem damit zu tun, dass bald nach den Durchsuchungen klar war, dass der 31-Jährige in einem örtlichen Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus aktiv war, sich dort sogar als Pressesprecher engagiert hat, und ausgerechnet dieses Bürgerbündnis 2016 einen Demokratiepreis des Landes bekam.
Deshalb ist nun die jedenfalls ventilierte Aufregung bei CDU und AfD in Thüringen groß, während sich Linkspartei, SPD und Grüne nach Kräften bemühen, jeden Anschein zu vermeiden, sie würden der Sache keine herausgehobene Bedeutung beimessen, weil ein Tatverdächtiger ein Linker ist. So sehr wollen die Koalitionäre das vermeiden, dass sie am Dienstag im Parlament in Erfurt sogar Anträgen von CDU und AfD zustimmten, den Fund direkt als ersten Tagesordnungspunkt der Plenardebatte zu behandeln.
Das, was in der Debatte danach folgte und sich in einzelnen Pressestatements aus den vergangenen Tagen schon angekündigt hatte, entbehrt dabei durchaus nicht einer gewissen Ironie. Übrigens für beide Seiten. Wo nämlich in der Vergangenheit besonders gerne von Linken aus Aktionen von Polizei und Staatsanwaltschaft schon Schlussfolgerungen gezogen wurden, noch ehe alle Ermittlungen der Behörden abgeschlossen waren - was regelmäßig zu scharfem Protest aus dem konservativen Lager führt -, sind es diesmal die CDU- und AfD-Leute, die schon alles werten und zu wissen meinen, noch ehe Polizei und Justiz ihre Arbeit beendet haben; was in diesem Fall wiederum die Politiker des Mitte-Links-Bündnisses fast zur Explosion bringt.
Die politische Debatte um den Fund geht deshalb zusammengefasst so: CDU und AfD: Ihr Rot-Rot-Grünen nehmt das nicht ernst, weil ihr den Linksextremen nahesteht. Vertreter der Regierungskoalition: So ein Quatsch, aber man kann nicht das Bürgerbündnis für die mutmaßlichen Taten eines Einzelnen verantwortlich machen. Außerdem sind alle Fragen offen. So bizarr geht es in der Debatte zu, dass nun ausgerechnet CDUler davor warnen, auch die NSU-Terroristen hätten doch mit Sprengstoff hantiert und seien Ende der 1990er Jahre nicht ernst genommen worden. Während LINKE, Sozialdemokraten und Grüne mahnen, erst mal die weiteren Ermittlungen abzuwarten.
Dass die Sprengstofffunde bislang viele Interpretationsmöglichkeiten zulassen und keine bislang belastbar belegt ist, zeigt sich eben auch an den weiteren Dingen, die die Polizei in Rudolstadt und Uhlstädt-Kirchhasel gefunden hat: Neben selbst gebauten Böllern, die nicht besonders risikobewusste Menschen »zum Spaß« zünden, und Cannabis fanden die Beamten nach Angaben des Innenministeriums auch Buttersäure, eine Schreckschusswaffe sowie Pfeilspitzen für eine Armbrust. Letzteres eignet sich durchaus für Anschläge auf politische Gegner. Was aber alles nicht bewiesen ist.
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