Newroz: Eine starke Botschaft an das AKP-Regime
Nach dem Frauentag war das kurdische Neujahrsfest die zweite Massenmobilisierung gegen das AKP-Regime innerhalb weniger Wochen, so Yücel Özdemir
Am 21. März zeigten beeindruckend große Newroz-Feiern an vielen Orten, besonders in Diyarbakır und Istanbul, wieder einmal, dass der Kampf der Kurden nicht mit Repression und Gewalt verdrängt werden kann. Aus diesem Grund war Newroz 2018 eine Art »Auferstehungstag« gegen den Druck des AKP-Regimes. Die Botschaft, die Hunderttausende dem türkischen Präsidenten Erdoğan zuriefen, lautete: »Wir sind hier, und wir werden weiterhin Widerstand leisten.« Zudem gab es dieses Jahr wegen des Angriffskrieges auf Afrin noch mehr Wut als in den Vorjahren.
Wie schon im vergangenen Jahr wurde Newroz unter schwierigen Bedingungen gefeiert, die Gesetze des Ausnahmezustands (OHAL) gelten noch immer, Tausende kurdische Politikerinnen und Politiker wurden willkürlich verhaftet. Obwohl es »Feier« genannt wird, ist es zutreffender, bei Newroz von einem Kampftag zu sprechen.
Yücel Özdemir wurde 1968 in der türkischen Stadt Varto geboren. Er lebt mit seiner Familie in Köln.
Neben seinem Mathematikstudium an der Universität Istanbul war Özdemir verantwortlicher Redakteur der linken Wochenzeitschrift "Gerçek" (Realität), der Vorläuferin der Tageszeitung "Evrensel". Nach der Veröffentlichung eines geheimen Militärprotokolls, in dem es um die Bespitzelung von Kurden, Aleviten und Linken ging, machte ihm die türkische Justiz den Prozess wegen „Landesverrats“. Er flüchtete im August 1993 nach Deutschland. Seit Jahren schreibt Özdemir für "Evrensel" Berichte und Kolumnen aus Deutschland. Er gehört zu den 50 Journalisten, die beim NSU-Prozess einen ständigen Beobachterplatz erhalten haben und teilt seinen Platz mit "neues deutschland".
Was derzeit sowohl in der Türkei als auch in anderen kurdischen Gebieten passiert, macht es unmöglich, Newroz als reinen Feiertag zu begehen. Ohnehin war Newroz in der Mythologie eher ein Aufstand gegen Ungerechtigkeit als ein Fest. Nach dem mehr als 2600 Jahre alten Mythos übernimmt der arme Schmied Kawa die Führung eines Volksaufstandes gegen die Tyrannei des grausamen Herrschers Dehak. Für Kurdinnen und Kurden existieren Dehak und Schmied Kawa noch immer, wenn auch mit anderen Namen.
Es ist kein Zufall, dass die türkische Armee und ihre Verbündeten von der sogenannten Freien Syrischen Armee nach der Übernahme von Afrin die Skulptur von Kawa zerstörten. Dieser Angriff ist Ausdruck des Hasses, der den kurdischen Errungenschaften entgegengebracht wird. Diejenigen, die die Statue von Kawa niederrissen, sind die heutigen Vertreter des grausamen Dehak. Und Erdoğan hat angekündigt, dass er die anderen Kantone Rojavas ebenfalls angreifen wird, dass der Krieg nicht auf Afrin beschränkt bleiben soll – er will sogar bis zum Berg Sindschar in Irak vordringen.
Erdoğan glaubt, dass der einzige Weg, die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr zu gewinnen, darin besteht, den Nationalismus über ein gemeinsames Feinbild – die Kurden – innerhalb und außerhalb des Landes zu stärken. Dafür spricht er das Milieu der ultranationalistischen, rechten MHP an und zeigte beispielsweise den Wolfsgruß. Erdoğan interessiert sich dabei nicht besonders für die Reaktion der konservativen kurdischen Wähler, die ihn bislang gewählt haben.
Es ist jedoch ziemlich klar, dass er die Wahl nicht gewinnen kann, wenn er deren Stimmen nicht bekommt. Entwicklungen wie der Afrin-Angriff, die Zerstörung der Kawa-Statue, die Verhaftung kurdischer Politiker oder die Ernennung von Zwangsverwaltern in den kurdischen Gemeinden der Türkei werden wohl zur Folge haben, dass Erdoğan und seine AK-Partei Stimmen unter kurdischen Wählern einbüßen müssen.
Als erstes Zeichen dafür können die Hunderttausenden gedeutet werden, die an einem Arbeitstag, während der Arbeitszeit, an Newroz-Veranstaltungen teilnahmen. Nach den großen Protesten am Frauentag hat Newroz erneut gezeigt, dass diejenigen, die eine andere Türkei wollen, trotz aller Unterdrückung nicht verschwunden sind. Sie gehen – ganz im Gegenteil – mit Wut auf die Straßen und Plätze. Als nächstes ist der 1. Mai an der Reihe. An diesem Tag werden Arbeitnehmer massenhaft gegen Privatisierungen, Armut und Arbeitslosigkeit protestieren und Erdoğan wiederum eine lautstarke Antwort auf seine Politik geben.
Wenn es eine Kraft gibt, die die Türkei vom Erdoğan-Regime befreien kann, dann ist es jene, die aus der Vereinigung all dieser Menschen erwächst, die am 8. März, am 21. März und am 1. Mai auf die Straße gegangen sind oder gehen werden. Die entscheidende Frage ist, wann es zu dieser Vereinigung kommen wird.
Aus dem Türkischen von Nelli Tügel.
Die längere türkische Textfassung können Sie hier lesen.
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