Arbeitslosengeld aus dem Supermarkt

Ein Zahlungssystem lässt die Gewinner auf die Verlierer der digitalen Welt treffen

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 5 Min.

Wo kommen sie künftig zusammen, der junge erfolgreiche Start Up-Unternehmer und der 55-jährige arbeitslose Hartz IV-Bezieher? An der Supermarktkasse bei Rewe, Netto oder Rossmann. Dort soll künftig nach dem Willen der Bundesagentur für Arbeit der Langzeitarbeitslose teilweise sein ihm zustehendes Geld abholen. Möglich macht das ein privates Dienstleistungsunternehmen, das 2011 von drei Jungspunden auf dem digitalen Feld gegründet wurde. Während ihnen das Internet neue Geschäftsmodelle ermöglicht und Wohlstand bis Reichtum bringt, ist der 55-jährige Hartz-IV-Bezieher arbeitslos, weil man in der digitalen Welt zum Beispiel keine Druckvorstufe mehr braucht. Und Sozialverbände kritisieren das Arbeitslosengeld über die Rewe-Kasse als diskriminierend.

Doch der Reihe nach. Florian Swoboda ist einer der drei Gründer des Berliner Start-ups barzahlen.de. Das Unternehmertum wurde dem 25-Jährigen quasi in die Wiege gelegt, sind die Eltern doch als Ärzte selbstständig. »So bekam Florian von Geburt an mit, was es heißt sich selbst etwas aufzubauen und Verantwortung für Mitarbeiter zu tragen«, das meinen jedenfalls die Autoren eines Buches über »Start ups international: Gründergeschichten rund um den Globus«. Und die Autoren wissen weiter, dass »auch ein Großteil seines Freundeskreises seit jeher aus Unternehmern besteht«. Derartig gepampert und mit einem Studium an der »Otto Beisheim School of Management« versehen, waren alle Voraussetzungen für den Start in der digitalen Welt gegeben.

Die Geschäftsidee kam den drei Studenten der Wirtschaftswissenschaft angesichts der schlechten Zahlungsmoral von Computerspielern in Online-Games. Viele davon sind noch minderjährig und verfügen über keine Kreditkarte. Um dieses Problem zu lösen, suchten die angehenden Jungunternehmer nach einer Schnittstelle zwischen der analogen und der digitalen Welt: Und stießen auf die bundesweit flächendeckend verbreitete Infrastruktur von elektronisch vernetzten Supermarktkassen. Damit war die Geschäftsidee geboren, und 2011 gründete Swoboda mit seinen beiden Kompagnons in Berlin die CAS Payment Solutions GmbH. Die Firma bietet unter dem Label »Barzahlen.de« eine private Zahlungsinfrastruktur an, das heißt, man kann mittlerweile an 10 000 Supermarktkassen Bargeld einzahlen oder auch abheben.

Und das sollen künftig auch Hartz-IV-Bezieher, die sich in finanziellen Notlagen befinden, tun, sich also ihr Arbeitslosengeld an der Supermarktkasse abholen. Dort treffen dann, vermittelt über das Bezahlsystem, die Globalisierungsverlierer auf die Globalisierungsgewinner. Die digitale Revolution zeigt ihr doppeltes Gesicht: Was für die Jungen Geld bringt, bringt den aus dem Arbeitsprozess ausgemusterten Älteren das Arbeitslosengeld II.

Freilich handelt es sich bei dem Supermarktgeld nicht um die Regelzahlung für den Lebensunterhalt und die Miete, wie die Bundesagentur für Arbeit betont. Diese Regelzahlung werde wie üblich per Banküberweisung getätigt. Bei den Auszahlungen an der Supermarktkasse gehe es vielmehr »um Vorschüsse bei finanziellen Notlagen«, so ein Behördensprecher. Bei derartigen Notlagen verfügt der betroffene Haushalt über kein Geld mehr, um zum Beispiel die Reise zu einem Vorstellungsgespräch zu bezahlen. Oder eine alleinerziehende Mutter muss die kaputtgegangene Waschmaschine ersetzen. Im Jahr 2016 gab es rund 400 000 derartiger Auszahlungen, ausgezahlt wurde das Geld an den 309 eigenen Kassenautomaten in den Jobcentern. Es ging um eine Summe von rund 120 Millionen Euro.

Diese Kassenautomaten aber sind in die Jahre gekommen und kosten Geld, etwa acht Euro pro Auszahlung. Deshalb hat die Bundesagentur für Arbeit das Auszahlungsverfahren im vergangenen Jahr neu ausgeschrieben. Das Rennen gemacht hat nun eben Cash Payment Solutions aus Berlin. Das Finanztransaktionssystem Barzahlen.de erlaubt es den Kunden zum Beispiel, über das Internet Ware digital zu bestellen, diese aber ganz analog mit Bargeld an der Supermarktkasse zu bezahlen. Möglich wird das Verfahren durch einen sogenannten Barcode, dieser wird an der Kasse eingescannt und dann kann ein Betrag sofort ein- oder auch ausbezahlt werden.

So sollen künftig auch Hartz IV-Bezieher an ihr Geld kommen. Der Barcode wird entweder direkt bei der Behörde abgeholt oder kommt per Post, hinzu kommt der Hinweis auf drei Märkte in der Wohnumgebung, wo er eingelöst werden kann. »Das Verfahren ist anonym, weder ein Name noch das Logo der Bundesagentur für Arbeit erscheint auf dem Barcode«, versichert ein Sprecher. Zwar lasse sich der Geldfluss über eine Ziffernfolge identifizieren, darauf habe aber nur die Behörde und nicht der private Dienstleister Zugriff.

Doch das Verfahren, das Ende 2018 bundesweit eingeführt werden soll, stößt bei Sozialverbänden trotzdem auf Kritik. Die Pläne der Bundesagentur für Arbeit hält etwa die Caritas für indiskret und stigmatisierend. »Wir fordern die Bundesagentur auf, den Projektstart abzubrechen und mit den Wohlfahrtsverbänden Alternativen auszuarbeiten«, so Michaele Hofmann, Armutsreferentin des Kölner Diözesan-Caritasverbandes. Praktisch erschwere der Weg über den Supermarkt eine einfache Auszahlung erheblich, kritisiert der Verband weiter und fordert alternative Lösungen, um Arbeitslosengeld-II-Bezieher schnell zu unterstützen: »Wir bieten an, gemeinsam mit der Bundesagentur ein System zu entwickeln, das den Betroffenen unkompliziert und menschenwürdig zu ihrem Recht verhilft«, so Armutsreferentin Hoffmann.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, sieht in der Auszahlung des Hartz IV-Geldes im Supermarkt eine »Stigmatisierung«, man solle besser beim bisherigen Verfahren bleiben. Das Anonymitätsversprechen hält Schneider für weltfremd, da die Empfänger an den Kassen relativ hohe Beträge ausbezahlt bekämen, anstatt einzukaufen.

Kritik kommt zudem von Seiten der Gewerkschaften. So befürchtet Huber Thiermeyer, Fachbereichsleiter für den Handel bei ver.di Bayern, die Ausdehnung der Kassen zum Serviceterminal könnte Kunden und Mitarbeitern gleichermaßen schaden. Denn es führe zu mehr Druck und Verantwortung für die Angestellten, wenn sie nun zusätzlich Aufgaben des Staates wie das Auszahlen von Sozialleistungen übernehmen sollen. Für die Kunden könne es zu längeren Wartezeiten kommen. Weiter befürchtet Thiermeyer einen Wettbewerbsvorteil für die großen Handelsketten und damit eine weitere Zentralisierung des Handels. Denn kleine und mittelständische Händler könnten diese zusätzlichen Leistungen nicht erbringen.

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