Die Auferstehung Timoschenkos

In der Ukraine führt die ehemalige Ministerpräsidentin die Umfragen wieder an

  • Denis Trubetzkoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich galt die 57-jährige Julia Timoschenko, zweifache Ministerpräsidentin der Ukraine und Politikveteranin des Landes, schon lange als abgeschrieben. 2010 hat sie die Präsidentschaftswahlen gegen Wiktor Janukowitsch verloren, im folgenden Jahr musste sie wegen angeblichen Machtmissbrauchs sogar ins Gefängnis. Der Politikerin wurde vorgeworfen, während ihrer Tätigkeit als Premierministerin einen Gasliefervertrag mit Russland zum Nachteil der Ukraine unterzeichnet zu haben. Nach der Flucht des Ex-Präsidenten Wiktor Janukowitsch im Laufe der Maidan-Revolution kam Timoschenko zwar wieder frei, zu ihrer politischen Größe konnte sie jedoch nie zurückkehren.

So war es ihr nicht gelungen, gleich nach ihrer Freilassung die Proteste auf dem Maidan glaubwürdig anzuführen. Bei der Präsidentschaftswahl im Mai schaffte sie es zwar auf den zweiten Platz, allerdings mit großem Rückstand auf den Sieger Petro Poroschenko. Und auch im ukrainischen Parlament ist ihre Vaterlandspartei zwar vertreten, jedoch mit einer recht kleinen Fraktion. »Sie hat es immer geschafft, eine Rolle in der ukrainischen Politik zu spielen«, erklärt der Kiewer Politologe Dmytro Kornijtschuk, der die politische Strategie Timoschenkos oft kritisch hinterfragte. »Doch hatte man immer das Gefühl, die Ukrainer seien Timoschenko satt und können ihre populistische Rhetorik nicht mehr ertragen.«

Offenbar hat er sich - wie andere politischen Experte in der Ukraine auch - getäuscht. Denn mittlerweile sieht alles danach aus, als hätte Timoschenko beste Chancen, zur nächsten ukrainischen Präsidentin gewählt zu werden. Sie führt nämlich fast alle Umfragen an - das Gleiche gilt für ihre Vaterlandspartei. In der letzten Umfrage des Instituts Rating führt sie mit 3,1 Prozent vor dem amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko, für den Fall einer Stichwahl führt sie gar mit soliden sieben Prozent. Allerdings wollen 28 Prozent der Befragten im Falle einer Stichwahl zwischen Timoschenko und Poroschenko gar nicht zur Urne gehen, 19 Prozent sind immer noch unentschlossen.

»Es sind extrem seriöse Zahlen, die ernst zu nehmen sind«, sagt der Soziologe Georgij Frolow. »Man sollte nur vor allem darauf schauen, wie die Tendenzen in den Regionen aussehen.« Timoschenko führt bei der Umfrage zum ersten Wahlgang fast in allen westlichen und zentralen Regierungsbezirken an. Im Fall einer Stichwahl läge Poroschenko nur in drei Bezirken vorn, in fünf weiteren Bezirken wäre er zumindest konkurrenzfähig.

Wie hat Julia Timoschenko eine solche politische Wiederauferstehung geschafft, obwohl sie als abgeschrieben galt? Politologe Kornijtschuk erkennt an, das ihr der ukrainische Politikzirkus liegt. Aus dem halte sie sich aber derzeit fern. »Sie war niemals erfolgreich, als sie Regierungsverantwortung hatte«, analysiert Kornijtschu. Timoschenko verhalte sich ruhig und habe aus ihren Fehlern gelernt. »Dass sie im letzten September zusammen mit Saakaschwili die ukrainische Grenze überquerte, war eindeutig einer. Doch sie hat es erkannt und zeigte sich nicht mehr zusammen mit dem Ex-Georgier.« Gleichzeitig ist die Beliebtheit von Petro Poroschenko in diesem Jahr extrem gesunken - zum einen wegen der Geschichte um seinen Malediven-Urlaub, zum anderen wegen der Verfolgung gegen den mittlerweile aus der Ukraine ausgewiesenen Michail Saakaschwili.

Wenn Timoschenko im nächsten Frühjahr tatsächlich zur ukrainischen Präsidentin gewählt wird, hat sie es in den kommenden Jahren wieder mit Wladimir Putin zu tun, mit dem sie 2009 den erwähnten Gasvertrag unterschrieb, als Putin nach zwei Amtszeiten als Präsident ins Amt des Ministerpräsidenten gewechselt war.

Timoschenko hatte schon immer einen guten Draht zu Putin, gleichzeitig versucht sie seit der Maidan-Revolution, so radikal wie möglich gegen Russland aufzutreten. Es dürfte also spannend werden, wie sich die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau unter Timoschenko verändern.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.