Wie viel Geld ist ein Leben wert?
Auch das Land Brandenburg will Abbiegeassistenten für neue Lkw vorschreiben
»Größtmögliche Sicherheit ist ein Grundwert der Marke Mercedes Benz und ein wesentlicher Baustein ihrer DNA. Ein Großteil der heute verfügbaren Sicherheitssysteme erlebte seine Premiere in einem Fahrzeug mit Stern«, wirbt die Daimler AG. Die Spanne reiche vom Antiblockiersystem bis zum Notbremsassistenten. Mit dem Abbiegeassistenten werde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Dieser könne im Stadtverkehr das Risiko von Unfällen mit Fußgängern und Radfahrern deutlich reduzieren.
Da jedoch nur wenige Laster mit Abbiegeassistent bestellt werden, setzen sich die Länder Berlin, Brandenburg und Bremen dafür ein, dass neue Fahrzeuge ohne gar nicht mehr ausgeliefert werden dürfen. Beim Bund müssten sie Gehör finden. Denn CDU, CSU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, Abbiegeassistenten für fabrikneue Lastwagen und Busse vorzuschreiben.
Bei der Hauptversammlung der Daimler AG am vergangenen Donnerstag in Berlin sind die Verkaufszahlen genannt worden. Der Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche hatte seine Rede gehalten, viele Anteilseigner hatten den Tagungsort schon verlassen. Jetzt durften noch Aktionäre sprechen und Fragen stellen. Diese Gelegenheit nutzen kritische Aktionäre und ihre Vertreter wie Gregor Kessler von der Umweltorganisation Greenpeace, der sich nach der Dieseltechnologie erkundigte. Friedensaktivisten wollten wissen, wie viele gepanzerte Militärautos 2017 an die Bundeswehr ausgeliefert wurden - es waren 711 - und wie viele dieser Fahrzeuge in welche Länder exportiert worden sind. Die 22 Staaten wurden wie gewünscht aufgezählt, darunter Türkei und Sudan. Es wurde betont, dass Daimler keine Waffensysteme auf Fahrzeuge montiere und dass es im Falle der Türkei und des Sudans Lieferbeschränkungen gegeben habe. Ein alter Herr empfahl, das Einkommen von Vorstandschef Zetsche, es liegt bei 13 Millionen Euro im Jahr, auf fünf Millionen zu begrenzen. Mit dieser Summe würde Zetsche sicher nicht verhungern. Wenn es doch eng werden sollte, würde er ihm Mettbrötchen spendieren, frotzelte der alte Herr.
Dann sprach ein jüngerer Mann. Sein Thema war die Verkehrssicherheit. Er zählte aus den Polizeimeldungen ein paar tragische Unfälle auf, bei denen Radfahrer unter abbiegende Laster gerieten. Lkw der Marke Mercedes Benz können mit einem Abbiegeassistenten ausgestattet werden. Per Radar werden Radfahrer und Fußgänger erfasst, auch an den Stellen seitlich vor dem Fahrzeug, die vom Fahrer nicht einzusehen sind. Optische und akustische Signale waren den Fahrer dann. Der Daimler-Konzern hat die Technologie entwickelt und bis 2016 serienreif gemacht. Doch nur bei ein paar Tausend der weltweit 470 700 vom Band gelaufenen Daimler Trucks ist das System im vergangenen Jahr verbaut worden, erfuhr der Aktionär auf Nachfrage. Er bedauerte das und meinte, das System sollte serienmäßig in allen Lastern stecken.
Der Vorstand bedauert ebenfalls. Wie bei den Modellen mit dem umweltfreundlichen Erdgasantrieb, die gar nicht mehr angeboten werden, ist die Nachfrage nach der lebensrettenden Technologie nicht so groß wie es wünschenswert wäre. Was es im Einzelfall kostet, lässt sich nicht genau sagen, weil Fahrzeuge zu Paketpreisen verkauft werden. Ursprünglich war mal von 5500 Euro pro Assistent die Rede. Für Speditionen, die im Konkurrenzkampf mit osteuropäischen Fuhrunternehmen stehen, ist das ein Kostenfaktor.
Der kritische Aktionäre sei mit seinem Anliegen an der falschen Adresse, fand ein Kleinaktionär, der ihm zuhörte. Er müsse sich an die Politik wenden. Wenn der Abbiegeassistent gesetzlich vorgeschrieben werde, entfalle für die Speditionen, die sich jetzt freiwillig dafür entscheiden, der Wettbewerbsnachteil.
Die Politik will handeln. Verkehrssenatorin Regine Günther (für Grüne) informierte Ende März, Berlin wolle im Bundesrat darauf dringen, Abbiegeassistenten für neue Laster zur Pflicht zu machen. Brandenburg schließt sich dieser Initiative jetzt an, wie dass rot-rote Kabinett am Dienstag beschloss. Verkehrsministerin Kathrin Schneider (SPD) begründete das so: »Der tragische Tod eines Mädchens in Brandenburg an der Havel zeigt, dass schnellstmöglich gehandelt werden muss. Immer wieder werden Fußgänger und Radfahrer beim Rechtsabbiegen übersehen.«
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