Ein Bahnhof als Mythos

Der SPD-Politiker Sven Heinemann hat die Geschichte des Ostkreuzes erforscht

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Ostkreuz ist einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte Berlins - und hat als solcher wechselvolle Zeiten erlebt. Sven Heinemann hat ein Buch über die Geschichte des Bahnhofs geschrieben.

Von Jérôme Lombard

Geräuschvoll geht es zu am Bahnhof Ostkreuz. Menschen hasten von einem Gleis zum anderen, sie wollen ihren Anschlusszug nicht verpassen. Wenn eine S-Bahn einfährt, fährt an einem anderen Bahnsteig schon wieder ein Zug ab.

Sven Heinemann kann von diesem Gewusel gar nicht genug bekommen. Das Ostkreuz ist das zweite Wohnzimmer des SPD-Politikers. »Ich steige hier täglich mindestens zwei Mal aus und um«, sagt Heinemann und grinst. Damit ist er einer von über 200 000 Fahrgästen, die das Ostkreuz pro Tag zählt. Eine deutschlandweit einmalige Zahl.

Wenn Heinemann nicht gerade zu einer Sitzung ins Abgeordnetenhaus muss oder einen Termin in seinem Bürgerbüro hat, kommt der bekennende Bahnfan auch manchmal einfach so zum Ostkreuz. Weit hat er es nicht. Seit der 39-Jährige 2000 aus seiner Heimat Baden-Baden nach Berlin gekommen ist, wohnt er drei Straßen vom Bahnhof entfernt.

»Das Ostkreuz ist für mich mehr als nur ein Bahnhof«, sagt Heinemann, der sich seit 2011 daran gemacht hat, die Geschichte des zwischen Friedrichshain und Lichtenberg gelegenen Eisenbahnareals zu erforschen. Im Frühjahr hat der Hobbyhistoriker zusammen mit dem Fotografen Burkard Wolny ein Buch herausgebracht. Es trägt den Titel: »Mythos Ostkreuz«.

»Das Ostkreuz ist zusammen mit dem Bahnhof Zoo einer der beiden Bahnhöfe in der Hauptstadt, mit denen die Berliner mehr als nur Zugfahren verbinden«, sagt Heinemann. Im Fall des Ostkreuzes liege das an seiner wechselvollen Geschichte. Bereits 1882 wurde der Vorgänger des heutigen Ostkreuzes, der Bahnhof Stralau-Rummelsburg, eröffnet. Die aufstrebende Metropole Berlin verlangte nach Eisenbahnverbindungen, die Menschen und Güter vom Zentrum ins Umland und umgekehrt transportieren konnten.

Als in Stralau-Rummelsburg die ersten Züge hielten, war die Gegend noch kein angesagter innerstädtischer Szenekiez wie dieser Tage, sondern plattes Land. Mit dem Wachstum der Stadt wuchs auch der Bahnhof zu einem der wichtigsten Knotenpunkten Berlins - und wurde dabei immer wieder um - und ausgebaut.

In seinem mit Liebe fürs Detail geschriebenen Buch geht Heinemann der Entwicklung des Ostkreuzes nach. Die historischen Bilder, nach denen Heinemann akribisch geforscht hat, runden das Werk ab.

Die Anfänge des Bahnhofs in ländlicher Umgebung, die Modernisierungen in der Weimarer Republik, die gigantomanischen Pläne eines Albert Speer in der NS-Zeit, der bauliche Zerfall in der DDR, die aktuellen Bauarbeiten, die im Dezember 2018 abgeschlossen sein sollen: All das thematisiert Heinemann in seinem Ostkreuz-Buch und fügt es zu einem lebhaften Porträt eines Berliner Bahnhofs der Moderne zusammen.

»Die Recherchen zum Buch haben mir riesigen Spaß gemacht«, sagt Heinemann. Den Erlös aus dem Buchverkauf will er dem Verein »Historische S-Bahn« zukommen lassen. Der Verein hat Heinemann versichert, dass er die Gelder in die Restaurierung des historischen Weihnachtszugs von 1930 stecken wird. Der soll pünktlich zum Fest in diesem Dezember durch Berlin rollen. »Das Geräusch einer Dampflok ist einfach Musik in meinen Ohren«, sagt Heinemann. Bahnfan bleibt eben Bahnfan.

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