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Mühselige Aufarbeitung
Polen gedenkt der Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk
Wie jedes Jahr versammelte sich am 10. April pünktlich um 8:41 vor dem Warschauer Präsidentenpalast die Chefetage der Regierungspartei PiS, um Lech und Maria Kaczyński zu gedenken. Das polnische Präsidentenpaar sowie weitere 94 Passagiere waren vor acht Jahren im russischen Smolensk beim Landeanflug ums Leben gekommen.
Vor dem Regierungswechsel im Herbst 2015 sei hinsichtlich des Gedenkens an die Opfer zu wenig getan worden, so der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński. Wenn es allein um pompöse Symbolik geht, ließ der Zwillingsbruder des verunglückten Präsidenten seinen Ankündigungen durchaus Taten folgen. An jedem Jahrestag werden unzählige Kränze niedergelegt, Gottesdienste besucht und neue Gedenktafeln eingeweiht, die Lech Kaczyński als bedeutenden Staatsmann darstellen. Amtsnachfolger Andrzej Duda reiste am Dienstag nach Krakau, wo sein politischer Ziehvater neben anderen nationalen Barden seine letzte Ruhe gefunden hat. Auf dem hauptstädtischen Piłsudski-Platz wurde ein Denkmal für alle Absturzopfer eingeweiht. »Dieses Monument soll uns endlich vereinen«, forderte Parteilenker Kaczyński.
Diese konzilianten Worte mögen auf den ersten Blick erstaunen. Denn neben den barocken Gesten bleibt ja noch das mühselige Thema der Aufarbeitung - sowohl der Tragödie selbst als auch der Ereignisse danach. Und diese waren in den letzten Jahren alles andere als versöhnlich. Führende PiS-Politiker haben jahrelang an einer absurden Attentatshypothese festgehalten: Lech Kaczyński sei im April 2010 einem Anschlag zum Opfer gefallen, und zwar unter Mitwirkung Wladimir Putins und des heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Diese Auslegung wurde von der PiS zeitweise zur Religion erhoben, jedoch allenfalls von konservativen Stammwählern kultiviert. Während des Wahlkampfs im Spätsommer 2015 wurde das Thema Smolensk daher zugunsten sozialer Versprechen zurückgedrängt, um breitere Wählerschichten anzusprechen.
Doch nach dem Wahlsieg vor zweieinhalb Jahren wurde Smolensk wiederholt zum Bestandteil nationaler Regierungspolitik. Die mit Staatsgeldern geförderte »Gazeta Polska« und andere regierungsnahe Medien haben die Anschlagstheorie entschlossen mitgetragen. Dabei hat bereits 2011 eine offizielle Kommission Pilotenfehler, schlechte Witterungsbedingungen und Unterlassungen des russischen Bodenpersonals als Unfallursachen ausgemacht.
Doch das reichte Kaczyński nicht aus. Der rasche Ausschluss eines Attentats bot fruchtbaren Boden für neue Verschwörungstheorien. Für politische Brisanz sorgten polnische Experten aus den USA, die von einer Explosion der Tupolew-Maschine vor dem Aufprall ausgingen. Nachdem die »Rzeczpospolita« 2012 von »TNT-Spuren« am Flugzeugwrack berichtete, sprach Kaczyński unverblümt von einem »Mord an 96 Menschen«. Bereits wenige Monate nach der Flugkatastrophe berief die damals oppositionelle PiS eine eigene Kommission unter dem Vorsitz des Hardliners Antoni Macierewicz, der auf einem Treffen mit seinen Gefolgsmännern gar von einem »Krieg gegen Russland« sprach.
Andererseits sind einige seiner Argumente nachvollziehbar: Behauptungen von Kaczyński-Gegnern, der Präsident habe trotz des dichten Nebels den Piloten zur Landung gezwungen, sind ebenso abwegig wie die Attentatsvermutungen der heute Regierenden.
Die politische Schlammschlacht um Smolensk wird leider von beiden großen Lagern - der PiS und der PO - mit höchstem Eifer geführt. Die Linke, deren Vertreter ebenfalls bei dem Absturz ums Leben kamen, bemüht sich in dem hitzigen Klima eher um Gelassenheit. Aber auch ihr ist die fragwürdige Tatsache nicht entgangen, dass Russland seinem westlichen Nachbarn seit Jahren das Flugzeugwrack vorenthält.
Das Fehlen des »Beweisstücks« bietet den Konservativen andererseits die Möglichkeit, mit immer abenteuerlicheren Versionen aufzuwarten, um traditionelle Sympathisanten bei der Stange zu halten. An ein Attentat glauben derweil nur noch elf Prozent der Polen. Dass Kaczyński also in diesen Tagen wieder den »Smolensk-Lautsprecher« etwas leiser dreht und Macierewicz im Hut verschwinden lässt, hat einmal mehr mit dem Wahlkalender zu tun.
Dennoch wird die Anschlagstheorie fleißig am Köcheln gehalten. Am Jahrestag der Katastrophe bekam der ehemalige Präsident Bronisław Komorowski eine Vorladung von der Staatsanwaltschaft. »Bis heute werden üble Verleumdungen wegen angeblichen ›Hochverrats‹ aufrechterhalten«, sagte Komorowski, neben Tusk einer der »Verantwortlichen« für die Tragödie von Smolensk.
Unterdessen wird neben der Desavouierung früherer Staatschefs zeitgleich dem Personenkult Lech Kaczyńskis gehuldigt. Unweit des neuen Denkmals auf dem Piłsudski-Platz soll im November eine Statue des früheren Präsidenten eingeweiht werden, nur wenige Meter entfernt vom »Vater der polnischen Unabhängigkeit«. Kommentar Seite 4
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