EU plant Ende des Asylrechts

LINKE und Grüne im Bundestag: Deutschland muss EU an der geplanten Abschiebung ihrer Verantwortung hindern

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Flüchtlingsdebatte findet auf allen Ebenen statt, am familiären Küchentisch ebenso wie in den Parlamenten. Am Montag trafen die Argumente in Form von Rechtsgutachten im Innenausschuss des Bundestages aufeinander. Die vom Ausschuss geladenen Experten äußerten sich über die geplante Reform des Asylsystems in der EU.

Zwei Fraktionen, von der LINKEN und den Grünen, wollen erreichen, dass die Bundesregierung in den Verhandlungen, an denen der Europäische Rat, die Europäische Kommission und das Europaparlament beteiligt sind, sich für bestehende Rechtsstandards im Flüchtlingsschutz einsetzt. Sie sehen die Gefahr eines Abbaus bisher geltender Grundrechte, ja, das Ende des individuellen Asylrechts selbst. Nach dem Innenausschuss soll sich der Bundestag mit den Anträgen beider Fraktionen beschäftigen.

Die in Brüssel geplante Reform soll das bestehende EU-System ablösen, das die Hauptlast bei der Bewältigung der Asylverfahren den Ländern an den Außengrenzen der EU zuweist, während andere Mitgliedsstaaten sich einer solidarischen Aufteilung der Flüchtlinge verweigern. Während das EU-Parlament sich in einem klaren Votum für die Gewährleistung des individuellen Rechts auf Asyl innerhalb der EU aussprach, weckten Überlegungen der EU-Kommission und des Europäischen Rates bei Flüchtlingspolitikern in- und außerhalb von Parteien ernste Befürchtungen. Darin, dass die Vorschläge des Rates bisher nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, sehen die Grünen einen zusätzlichen Grund, die Öffentlichkeit mit ihnen bekannt zu machen. Denn die Grünen kommen zum Schluss, dass der Rat das bisherige Asylsystem zur Sicherung flüchtlingsrechtlicher Mindeststandards durch ein System festgelegter Höchststandards ersetzen will. Beispielsweise sollen Zuständigkeitsregeln verhindern, dass nicht zuständige Staaten sich mit Flüchtlingen und ihrem Schicksal rechtlich überhaupt beschäftigen dürfen, während die Betroffenen an »zuständige« Staaten zurückverwiesen werden. Dies sollen den Plänen zufolge zunehmend angeblich sichere Drittstaaten außerhalb der EU sein. Innerhalb der EU hingegen sollen die Staaten frei sein, zusätzliche Restriktionen vorzunehmen.

In ihrer Stellungnahme machte Katharina Stamm vom Zentrum für Migration und Soziales der Diakonie Deutschland darauf aufmerksam, dass angesichts schrumpfender Schutzräume für Flüchtlinge und eines weltweit erhöhten Bedarfs nicht die erzwungene Reduzierung von Flüchtlingszahlen das Ziel der Europäer sein dürfe, sondern ein Ausbau von Schutzmöglichkeiten in der EU dringend erforderlich sei. Und während die EU in bilateralen Verträgen die Zuständigkeit zur Flüchtlingsaufnahme an andere Länder zu delegieren plant, wie ihr das mit dem EU-Türkei-Abkommen gelang, nimmt sie in Kauf, dass die Geflüchteten Bedingungen vorfinden, die den Normen des internationalen Flüchtlingsschutzes nicht gerecht werden. Zudem nehmen sie in Kauf, dass die betroffenen Staaten in jene Problemlagen geraten, denen sich die EU entzieht. So hat die Türkei mit über 3,4 Millionen eine erheblich größere Zahl von Flüchtlingen aufgenommen, als die EU insgesamt - selbst in den Jahren 2015/16, wie Katharina Stamm in ihrem Gutachten deutlich macht. In Abweichung von der europäischen Wahrnehmung seien erheblich weniger Asylsuchende in der EU angekommen als in den Anrainerstaaten; ohnehin nehme der globale Süden laut UNHCR 80 Prozent aller Schutzsuchenden auf.

Angesichts dessen wirken die Pläne zur weiteren »Entlastung« der EU besonders zweifelhaft, wie auch aus dem Gutachten von Anna Lübbe, Professorin an der Hochschule Fulda, deutlich wird. Die geplanten Zwangszuordnungen von Menschen stießen nicht nur im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Verhältnisse im Zielstaat an Grenzen. Es müsse zudem immer dem Individualrechtsschutz unterliegende Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten geben, die es erlauben, von Rücküberweisungen abzusehen. Die geplante Dublin-IV-Verordnung sieht aber gerade vor, das bisherige Recht auf Selbsteintritt eines Staates, also die Erklärung seiner Zuständigkeit für ein Asylverfahren, abzuschaffen. Pflicht soll es künftig nicht nur sein, Flüchtlinge in »sichere« Drittstaaten zurückzuweisen, die nicht sicher sind, sondern auch in »sichere Regionen« von Staaten, die ansonsten nicht als sicher eingestuft sind.

Allerdings sei das individuelle Asylrecht nicht das einzige Rechtsgut, das es zu berücksichtigen gilt, meint Daniel Thym, Professor an der Universität Konstanz. Es gehe um eine Kombination rechtlicher und moralischer Schutzanliegen mit legitimen Steuerungsinteressen des Staates. Hierfür stellten die Grundrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention nur den Rahmen dar, »der, wie immer, politisch zu füllen ist«. Noch unverblümter widersprach der Gutachter der AfD dem Anliegen von LINKER und Grünen. Mit den Organisationen, die für den Fortbestand des individuellen Asylrechts plädierten, seien jene genannt, die von einem »unbeschränkten Zuzug ungebildeter und hilfebedürftiger Drittstaater materiell als Anbieter mannigfacher Flüchtlings-Unterstützungsleistungen« profitierten. Krisenprofiteuren dürfe »nicht die Entscheidung über Fortdauer oder Beendigung von Krisen zugebilligt werden«.

Hingegen forderte der Paritätische Gesamtverband die Regierung auf, das Asylrecht in der EU sicherzustellen. Er äußerte »große Sorge, dass insbesondere mit den vorgeschlagenen Änderungen zum sicheren Drittstaaten-Konzept der Zugang zum individuellen Asylrecht in Europa perspektivisch abgeschafft werden soll«.

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