Zwischen Zurückhaltung und Abneigung
Macron muss sich bei seinem Besuch in Deutschland auf erheblichen Widerstand gegen seine Ideen einstellen
Bisher schien dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron für die Durchsetzung seiner Reformvorstellungen nur eines zu fehlen - der Bündnispartner Deutschland, der im monatelangen Selbstfindungsprozess der Regierungsbildung gefangen war. Widerspruch schien Macron nicht fürchten zu müssen. Im Gegenteil, Vorschusslorbeeren erntete der Präsident eimerweise, so ambitioniert und zielstrebig, modern und vorausblickend, so ehrgeizig und ideenreich er empfunden wurde. Nun allerdings zeigt sich: Das monatelange Ausbleiben der Unterstützung aus Deutschland hatte außer unklarer Regierungsverhältnisse vor allem einen Grund: Zweifel.
Die Konflikte lassen sich nicht länger aussitzen. Am Dienstag stellte Macron seine Ideen vor dem EU-Parlament vor, am Donnerstag wird er in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentreffen. Und prompt wurde diese im Vorfeld mit jenen Vorbehalten konfrontiert, die vor allem die eigene Fraktion hegt, wenn es um die Übertragung nationaler Kompetenzen an Europa geht.
Zwar heißt es auch im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wolle die Koalition »zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Unionsrecht verankert« sein soll. Dies ist einer der Kernvorschläge auch Macrons. Doch hat die Koalition schon die Einschränkung vermerkt, dass die Rechte der nationalen Parlamente davon unberührt bleiben müssten.
In der Unionsfraktion, vor der die Bundeskanzlerin am Dienstagnachmittag ihre Verhandlungsziele gegenüber Macron und für eine zukünftige Europäische Union darlegte, machte sich im Vorfeld dennoch Unruhe breit. Medienöffentlich legte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dar, welche Vorschläge Macrons er - und damit meinte er sicher zugleich den Großteil der Abgeordneten aus Bayern - gar nicht erst als verhandlungswürdig erachte. So sei die Idee eines EU-Finanzministers »definitiv nichts«, was man jetzt entscheiden müsse, ebenso wie eine EU-weite Arbeitslosenversicherung oder eine europäische Einlagensicherung für Banken. Auch der Vorschlag eines eigenen Budgets für die Eurozone findet nicht Dobrindts Fürsprache. »Knackpunkt« seien für ihn jene Fragen, »die eine direkte finanzielle Auswirkung haben«, sagte der CSU-Politiker. Über solche Themen werde man sich auf dem Juni-Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs ganz sicher nicht einigen.
Bedenken gibt es nicht nur in der CSU, sondern in der Union generell. Den Eindruck allerdings, dass die Fraktion ihre Kanzlerin vor den Verhandlungen mit Macron an die Leine legen wolle, versuchte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), am Dienstag eilfertig zu zerstreuen. Er stellte klar, was Merkel sicher ohnehin nicht in Zweifel ziehen lassen würde, dass sie die Verhandlungshoheit gegenüber Macron inne habe. Bei der Fraktionssitzung am Nachmittag gehe es um eine reine »Informationsdebatte«. Beschlüsse werde man später im Parlament fassen.
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles störte sich dennoch an den Bremsversuchen in der Union und mahnte diese unter Hinweis auf das Regierungsprogramm zur Vertragstreue. Sie habe »kein Verständnis« dafür, »dass nun in der Union so viele rote Linien definiert werden, dass die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion niemals erreicht werden kann«, sagte Nahles der »Rheinischen Post«. Dies zeugt für Nahles entweder für fehlende Sachkenntnis oder davon, dass Merkel es hier mit einer Kampfansage zu tun hat. Immerhin sei der Koalitionsvertrag mit »Ein neuer Aufbruch für Europa« überschrieben. Allerdings hatte sich auch der SPD-Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz skeptisch gegenüber einer schnellen Einführung einer gemeinsamen Einlagensicherung für Banken geäußert.
Die LINKE sieht in Macrons Ideen ohnehin kein Indiz für einen Aufbruch, den es zu unterstützen gilt. Der Präsident sei in Strasbourg jeden Vorschlag schuldig geblieben, wie einer »destruktiven Lohndumpingpolitik in der Eurozone ein Riegel vorgeschoben werden könnte«, erklärte Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin im Bundestag. Macron, der sich im eigenen Land zum Musterschüler der deutschen Agendapolitik mache, sei »der falsche Impulsgeber für Europa«. Ohne sozialen Neustart seien Kompetenz- und Mittelübertragungen nach Brüssel »kontraproduktiv und spielen den Rechtspopulisten in die Hände«. Macron solle sich besser dafür einsetzen, »dass in Deutschland massiv die Binnennachfrage durch steigende Löhne, Renten und ein soziales und ökologisches Investitionsprogramm gestärkt wird.«
Die Grünen warteten mit weniger hohen Erwartungen auf. Vielmehr zeigten sie Mitleid mit Macron, der von der Koalition in der Debatte um die Zukunft Europas alleine gelassen werde. »Die im Koalitionsvertrag erwähnte europäische Solidarität verkommt zur Makulatur«, klagte Parteichefin Annalena Baerbock. Und der französische Präsident stehe mit seinen Ideen »allein auf weiter Flur«, weil Kanzlerin Merkel und Bundesfinanzminister Scholz »die proeuropäischen Signale verweigern«. Mit Agenturen
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.