Jury gesteht Fehler ein
Skandal um Literaturnobelpreis-Gremium
Der renommierte Literaturnobelpreis steckt in seiner bislang schwersten Krise. Zahlreiche schwedische Experten fragen sich inzwischen sogar, ob der Nobelpreis im Oktober überhaupt noch vergeben werden kann. Das zumindest theoretisch 18-köpfige Gremium der Schwedischen Akademie ist nach zahlreichen Austritten so tief zerstritten, dass es eine versprochene Presseerklärung zu den sexuellen Übergriffen und der Veruntreuung von Geldern schon tagelang nicht veröffentlichte. Nach einer Erklärung der Schwedischen Akademie vom Freitag vergangener Woche will die Akademie zwar den von der Stockholmer Anwaltskanzlei Hammarskiöld & Co angefertigten internen Ermittlungsbericht den juristischen Landesbehörden zur Verfügung stellen, eine Veröffentlichung ist damit aber weiterhin nicht selbstverständlich.
In ihrer Mitteilung räumt die Akademie unter anderem erstmals ein, dass sie einen groben Fehler begangen hat, als sie bereits 1996 einen Brief ignorierte, der die Preisjury über sexuelle Übergriffe durch den ihr nahestehenden Jean-Claude Arnault anprangerte. Die interne Ermittlung habe ergeben, »dass inakzeptables Verhalten in Form von ungewünschter Intimität vorgekommen ist«. Allerdings sei dies der Akademie »allgemein nicht bekannt« gewesen, heißt es weiter. Auch habe man nichts über »strafbare sexuelle Übergriffe« gewusst. Der Ermittlungsbericht stelle jedoch fest, dass Arnault über seine Ehefrau und Nobeljurymitglied Katarina Frostenson keinerlei direkten oder indirekten Einfluss auf Preisvergaben, Stipendien oder andere ökonomische Leistungen gehabt habe. Die aus Protest zurückgetretenen Mitglieder werden aufgerufen, sich wieder zu engagieren. »Damit macht die Akademie eine 180-Grad-Wende. Sie übt weitgehende Selbstkritik aus. Das ist sensationell«, kommentierte Juraprofessor Claes Sandgren im Radio Schweden.
Der Kurswechsel kam in letzter Minute. Der interne Machtkampf zwischen den Jurymitgliedern auf Kosten des seit 1901 vergebenen Preises schlug in der vergangenen Woche immer höhere Wellen. Unter Berufung auf zwei voneinander unabhängige interne Quellen berichtete das öffentlich-rechtliche Fernsehen SVT, dass der mächtige Preisrichter und Ex-Juryvorsitzende Horace Engdahl (69) um jeden Preis die Veröffentlichung des internen Ermittlungsberichtes verhindern wollte. Engdahl, ein enger Freund von Arnault, soll die Jurymitglieder kürzlich dazu gedrängt haben, ihre Zeugenaussagen in dem internen Ermittlungsbericht zu widerrufen, um ihn so nichtig zu machen.
Die von Engdahl und seiner Fraktion in der Akademie abgesägte Juryvorsitzende Sara Danius hatte die Ermittlung bei dem Anwaltsbüro in Auftrag gegeben - dies als beschwichtigende Antwort auf die 2017 von Frauen erneut in der Zeitung »Dagens Nyheter« erhobenen Vorwürfe zu sexuellen Übergriffen durch Arnault in den vergangenen 20 Jahren.
Die Frauen hatten Arnault nie angezeigt. Wahrscheinlich unterblieb dies auch aus Angst, denn er galt noch bis vor Kurzem als Schlüsselfigur im schwedischen Kulturleben. Zwar arbeitete er nie direkt für die Akademie. Doch er führte mit seiner Ehefrau und Nobeljurymitglied den privaten Kulturklub »Das Forum«. Das Paar erhielt dafür auch Gelder und Räumlichkeiten der Schwedischen Akademie in Stockholm und Paris, wo ein Teil der Übergriffe stattgefunden haben soll. Laut SVT soll die kürzlich entfernte Juryvorsitzende Danius um Aufklärung und Offenheit bemüht gewesen sein, was zu ihrem Fall geführt haben könnte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.