Kritiker wollen handlungsfähig werden

Bewegungsratschlag suchte Vernetzung der Parteilinken in Abgrenzung zu ihrer ehemaligen Galionsfigur Sahra Wagenknecht

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer die LINKE als Partei zwischen »Reformern« und »Linken« in Erinnerung hat, kann ins Grübeln geraten. Und wer sich an Gregor Gysis Worte auf dem Göttinger Parteitag 2012 über den damaligen Hass in der Bundestagsfraktion erinnert, kann ins Gruseln geraten. Alte Gräben scheinen nicht mehr zu existieren, neue haben sich dafür aufgetan. Und der Hass, der schon vergessen schien, kehrt mit Macht zurück. Am Sonnabend gab sich der angestaute Unmut vieler Funktionäre über Fraktionschefin Sahra Wagenknecht neue Kontur. Rund 150 Linkspolitiker aus Bund und Ländern trafen sich in Berlin zum »Ratschlag über eine bewegungsorientierte LINKE« - in Abgrenzung zu der von Wagenknecht und ihrem Ehemann Oskar Lafontaine, Fraktionschef im Saarland, propagierten Idee einer linken Sammlungsbewegung. Eine solche gebe es mit der Linkspartei und ihrer Verankerung in den sozialen Bewegungen schon längst, lautet das Hauptargument gegen Wagenknechts Idee.

Ziel des Ratschlags in Berlin sei es gewesen, den linken Flügel zu vernetzen, handlungsfähig zu werden, Positionen zu bestimmen, teilte die bayerische Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke anschließend mit. Man wolle »wieder zu einem handlungsfähigen Akteur« werden, weil er in der innerparteilichen Auseinandersetzung der letzten zwei, drei Jahre »tiefe Risse erfahren« habe. Mit den Rissen zielt Gohlke auf die Lücken, die Wagenknecht als ehemalige Führungsfigur der Parteilinken hinterließ, aber auch auf neue Konstellationen in der Bundestagsfraktion. Nach dem Rückzug Gregor Gysis als Fraktionschef 2015 waren mit der Doppelspitze von Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch die beiden bisher konkurrierenden Parteiflügel der Parteilinken und des Forums Demokratischer Sozialismus (Reformer) ein personelles Bündnis eingegangen, das intern die Bezeichnung des »Hufeisens« erhielt. Das Hufeisen sollte den Bogen über beide Flügel schlagen und sie zusammenführen. Doch neben dem Hufeisen formierte sich schon in der letzten Wahlperiode um die Parteivorsitzende Katja Kipping eine Gruppe, die sich mit dem Anspruch eines »dritten Weges« der Logik des Hufeisens entzog. Dieser Gruppierung um die Parteivorsitzenden Kipping und Bernd Riexinger, die beide auch Mitglieder der Fraktion sind, gehören nun nicht mehr nur die Mitglieder von Kippings Strömungszusammenschluss der Emanzipatorischen Linken, sondern auch Versprengte aus den einst geschlossenen Reihen der Parteilinken an.

Diese distanzieren sich vor allem von Wagenknechts flüchtlingspolitischen Ansichten. Nicole Gohlke, einst ebenfalls Anhängerin Wagenknechts, gehört nun zur Gruppe von 25 Bundestagsabgeordneten, die sich im März in einem Offenen Brief im Konflikt zwischen den Parteivorsitzenden und der Fraktionsspitze im Bundestag auf die Seite der Parteiführung gestellt und Wagenknecht einen »nichtintegrativen Führungsstil« vorgeworfen hatte. Dies war als Antwort auf Vorwürfe gemünzt, die Wagenknecht in einem Interview des »neuen deutschland« zuvor erhoben hatte. »Eine Partei, in der es ständig Streit und interne Reibereien gibt, wird nicht gut geführt«, hatte Wagenknecht gesagt.

Wagenknechts Kritiker, so auch die Teilnehmer des Ratschlags vom Sonnabend, wenden sich gegen ihre Auffassung, Integration sei nicht in beliebigem Umfang möglich; deshalb müssten in den Heimatländern Perspektiven geschaffen werden. Es gelte zudem, Wähler zurückzugewinnen, die die LINKE an die AfD verloren hat. Gegenüber »nd« formulierte Nicole Gohlke, es gehe den Bewegungslinken darum, deutlich zu machen, dass die Forderungen von Sozialisten nicht halt machten »an den Grenzen der kapitalistischen Konkurrenz - weder in der Friedens- noch Eigentums- noch in der Flüchtlingspolitik«.

Der Streit spitzt sich auch in der Fraktion zu. In einer Fraktionssitzung am letzten Dienstag ging es wegen des Briefs der 25 hoch her. Anhänger Wagenknechts beklagten dabei Mobbing gegen die Fraktionschefin. Wieder war anschließend von Hass die Rede. Wenn im Juni der nächste Parteitag zusammentritt, herrsche wieder derselbe Zustand wie vor dem Parteitag von Göttingen, resümiert Alexander Ulrich, Bundestagsabgeordneter und Landeschef in Rheinland-Pfalz. Am Dienstag setzt die Fraktion ihre Debatte fort. Und die Bewegungslinken denken über regionale Folge-Ratschläge oder eine größere Konferenz zur strategischen Vernetzung mit AkteurInnen aus außerparlamentarischen Bewegungen nach, wie Gohlke verrät.

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