Wenn der Sozialplan verpflichtend wird
Europarechtliches Symposium des Bundesarbeitsgerichts informierte über Rechtsnormen bei Massentlassungen in Griechenland
Ohne Frage mutet es tragisch an, dass Constantin Bakopoulos ausgerechnet in den Stunden über Massenentlassungen spricht, als bei Opel die Angst vor massivem Stellenabbau um sich greift. Und doch ist dieser zeitliche Zusammenhang ein Beleg dafür, wie aktuell es ist, worüber in den Räumen des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt am vergangenen Donnerstag und Freitag gesprochen wurde: wie die Europäische Union in den vergangenen Jahrzehnten versucht hat, die Arbeitnehmerrechte bei gleichzeitigem Jobverlust von vielen Beschäftigten eines Betriebes wenigstens ein bisschen zu stärken. Was offenbar bisweilen viel besser gelungen ist, als man das auf den ersten Blick glauben mag. Das europarechtliche Symposium war deshalb ein Ausweis dafür, dass die oft gescholtene Arbeits- und Sozialpolitik der EU manchmal besser ist als ihr Ruf. Und dass die klügeren Arbeitnehmervertreter nicht immer die sind, die zu Massenentlassungen pauschal »Nein!« sagen.
Bakopoulos war der ideale Referent, um diese Zusammenhänge zu erklären. Er ist Grieche, also Bürger jenes Landes, das seit Jahren in einer so schweren Wirtschaftskrise steckt, dass Massenentlassungen dort ein viel alltäglicheres Problem sind als in Deutschland. Zugleich ist Griechenland einer der EU-Staaten, die sich seit Jahren oft schwer damit tun, europäisches Recht in die nationale Praxis umzusetzen.
Davon berichtete Bakopoulos eindringlich am Beispiel einer alten und einer neuen Rechtslage im Fall von Massenentlassungen. Tatsächlich, sagt der Rechtsanwalt, der an der Freien Universität Berlin promoviert hat und heute an der Universität Athen lehrt, gebe es in der EU seit 1975 eine Richtlinie, mit der europaweite Mindeststandards bei Massenentlassungen eingeführt worden seien. Allerdings lasse die den einzelnen Mitgliedsstaaten in wichtigen Teilen so große Gestaltungsbefugnis, dass in Griechenland bis vor Kurzem die alte Rechtstradition zum Umgang mit Kündigungen im großen Stil angewendet worden sei. Demnach mussten sich entweder Unternehmer und Arbeitervertreter einig sein, dass ein solcher Stellenabbau nötig ist, oder aber der Arbeitsminister des Landes genehmigte die Massenentlassungen. Das erste, berichtete Bakopoulos, sei so selten gewesen wie das zweite. Gewerkschafter und Betriebsräte hätten die Zustimmung zu Massenentlassungen verweigert, weil sie wussten, dass der Arbeitsminister sie aus politischen Gründen nie zulassen würde.
Wer denkt, das könne doch nur im Sinne der Arbeiter gewesen sein, den belehrt Bakopoulos eines Besseren. Statt vor Massenentlassungen zu schützen, meint er, habe diese Rechtstradition dazu geführt, dass Unternehmer sie einfach umgangen und die Belegschaften gespalten hätten. Das entsprechende griechische Gesetz sei nämlich nur verabschiedet worden, um legal umgangen zu werden. Arbeitgeber hätten Menschen zeitlich gestaffelt entlassen, was de jure keine Massenentlassung war. So habe jeder Beschäftigte letztlich nur für sich selbst gekämpft.
Erst die seit 2017 nun auch in Griechenland tatsächlich wirksame EU-Richtlinie zu Massenentlassungen biete den Menschen dort zumindest etwas Schutz bei drohendem massenhaften Jobabbau. Nachdem der Genehmigungsvorbehalt des griechischen Arbeitsministers abgeschafft wurde, muss ein sogenannter Oberster Rat für Arbeit die im Falle drohender Massenentlassungen verpflichtenden Konsultationen überwachen. Sowohl in dem Rat als auch bei den Konsultationen müssen Unternehmer und Arbeitnehmervertreter gemeinsam versuchen, so viele Jobs wie möglich zu erhalten oder einen Sozialplan für diejenigen aufzustellen, die ein Unternehmen verlassen müssen. Überhaupt sei die Idee eines Sozialplans nun erstmals in Griechenland präsent. All das, sagt Bakopoulos, schütze die Beschäftigten sehr viel besser als Ministerentscheide, die »nur selten von ökonomischem Sachverstand getragen« gewesen seien.
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