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Cottbus zeigt sein schönes Gesicht

Die Stadtverordneten treten mit den Bürgern in den Dialog über Integration - die stößt auch auf Kritik, aber keiner im Saal hetzt gegen Flüchtlinge

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Sonnabend um drei Minuten vor zwölf ist die Sondersitzung des Cottbuser Stadtparlaments durch mit den Eingangsstatements. Für die Linksfraktion hat Eberhard Richter an ökonomische Ursachen erinnert: »Ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in einem Wohlstand, der zwei Dritteln verwehrt bleibt.« Flucht sei »kein Hobby«, ihr Antrieb sei der Wille zu überleben.

Jetzt dürfen die Bürger sprechen und Fragen stellen. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen hat es gegeben, asylfeindliche Aufmärsche und Berichte in Presse, Funk und Fernsehen, die nicht günstig für die Kommune waren. Darüber soll künftig bei sechs Stadtteilkonferenzen geredet werden und danach soll es möglichst in den Ortsbeiräten der eingemeindeten Dörfer weitergehen. Das hier ist nur der Auftakt. »Es geht los«, ermuntert Stadtparlamentsvorsteher Reinhard Drogla (SPD). Männer und Frauen melden sich, Junge und Alte. Einer nach dem anderen bittet um Mitgefühl und Vernunft. So Matthias Koziol, Vizepräsident der hiesigen Technischen Universität, der aus Darmstadt zuwanderte und erlebte, wie Cottbus nach der Wende jährlich 2000 Einwohner verlor. Er schlussfolgert aus diesem Aderlass: »Wir brauchen Lehrer, aber auch Fliesenleger« und »Wir brauchen Zuwanderung«.

Eine Frau beklagt Gewalt gegen Flüchtlinge und unmögliches Verhalten diesen Menschen gegenüber. Ein Mann schimpft, »die Deutschen benehmen sich wie die Schweine«. Wegen des Alkoholverbots in der Innenstadt weichen sie vor seine Kaufhalle aus, besaufen sich dort und belästigen Passanten. Derweil verhalten sich die Flüchtlinge in seinem Wohngebiet anständig, versichert der Mann. Neun Leute reden nacheinander so oder so ähnlich. Erst dann meldet sich einer, der etwas gegen Flüchtlinge sagen will, ganz konkret gegen einen Flüchtling, der sein Nachbar sei und Wasserpfeife qualme, bis es im Hausflur unerträglich stinke. Der Flüchtling habe diese Wohnung und außerdem noch eine in der Innenstadt gemietet. Wie könne das eigentlich sein? Es reagiert Torsten Kunze, Geschäftsführer der Gebäudewirtschaft GWC. Niemand anders vermietet in der Stadt so viele Wohnungen wie die GWC. Es gebe Probleme mit der Einhaltung der Hausordnung, die extra in etlichen verschiedenen Sprachen ausgegeben werde, bestätigt Kunze. Wenn sich Nachbarn beschweren, werde gegen die Missachtung der Hausordnung vorgegangen - bis hin zu Kündigungen, die es schon gegeben habe.

Danach melden sich wieder etliche Bürger, die mit Flüchtlingen überhaupt keine Probleme haben oder sogar gut Freund mit ihnen sind. Eine Unternehmerin hat zwar ein Problem, aber es ist anders gelagert. Sie hat geschäftliche Beziehungen nach Frankreich, Algerien und in andere Staaten. Wenn Cottbus als ausländerfeindliche Gegend in die Schlagzeilen gerät, dann ist das schädlich für ihr Business.

Irgendwann wird es jemandem zu bunt. Er beschwert sich, das laufe hier einseitig. Daraufhin wird ihm entgegengehalten, dass jeder das Wort ergreifen dürfe. Wenn sich keiner meldet, der es anders sieht, dann gebe es keine andere Meinungen oder aber es traue sich keiner, eine andere Meinung zu äußern. Unterdrückt werde jedenfalls nichts. Eine Vermutung trifft es sicher: Die Gegenstimmen sind hier nicht zu hören, weil sie sich draußen auf dem Parkplatz gegenüber versammelt haben. Dort protestiert der asylfeindliche Verein »Zukunft Heimat«, weil er sich ausgeschlossen fühlt. In gewisser Hinsicht ist das auch so. Denn nach dem Motto »Cottbuser reden über Cottbus« wird bei der Einlasskontrolle nur durchgelassen, wer Einwohner ist. Der Verein hat seinen Sitz im 65 Kilometer entfernten Golßen.

Folgerichtig beschwert sich ein Herr im Saal, wo die alle herkommen, die so tun, als könne Cottbus seine Angelegenheiten nicht alleine regeln. Allerdings hat »Zukunft Heimat« in AfD-Fraktionschefin Marianne Spring-Räumschüssel eine Fürsprecherin im Saal. Sie sagt: »Unsere Fraktion versteht die Bürger, die mit ihren Demonstrationen ihren Unmut über die verfehlte Flüchtlingspolitik zum Ausdruck bringen.« Es seien »zu viele Einzelfälle«, schimpft Spring-Räumschüssel mit Blick auf Messerattacken syrischer Jugendlicher.

Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) versichert dagegen, »dass es in Cottbus nicht weniger schwere Vorfälle gibt als in anderen Städten«. Er fügt hinzu: »Die Bürger unserer Stadt haben es nicht verdient, an den Pranger gestellt zu werden«. Kelch rät: »Wir sollten uns an die Fakten halten, ohne die Gefühle zu vernachlässigen.« Das sind die Fakten: In Cottbus leben inzwischen 8487 Ausländer, darunter 3290 Flüchtlinge, 2472 Syrer, 673 Polen, 502 Russen und 498 Afghanen. Der Ausländeranteil ist seit 2012 von 3,8 Prozent auf 8,3 Prozent gestiegen. Außerdem hat es, so ist zu hören, in Cottbus in den vergangenen vier Monaten - gefühlt! - nur so viele Vorfälle gegeben wie in Berlin jede Woche. Seite 11

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