Tauziehen um CityBahn
Hessen: Ein Straßenbahnprojekt über den Rhein soll Mainz mit Wiesbaden verbinden
Wenn es nach dem Willen kommunaler Verkehrsplaner und politischer Entscheidungsträger geht, soll ab 2022 eine neu trassierte moderne innerstädtische CityBahn Kernzonen und wichtige Vororte der benachbarten und durch den Rhein getrennten Landeshauptstädte Mainz (Rheinland-Pfalz) und Wiesbaden (Hessen) verbinden. Sie soll täglich bis zu 98 000 Menschen zwischen dem Mainzer Hauptbahnhof und der Wiesbadener Hochschule RheinMain transportieren. Während die Projektbefürworter eifrig die Werbetrommel für die Bahn rühren, formiert sich vor allem in Wiesbaden derzeit die Phalanx der strikten Projektgegner, die sich alle Mühe geben, in der Bevölkerung Ängste zu schüren.
Über Jahrzehnte hatte die hessische Landeshauptstadt einen fragwürdigen Rekord zäh verteidigt. Sie ist nämlich neben dem westfälischen Münster die größte Kommune Deutschlands ohne innerstädtischen Schienenverkehr. Wie anderswo wurden auch hier in den 1950er und 1960er Jahren historische Straßenbahnnetze dem Auto- und Busverkehr geopfert. Im linksrheinischen Mainz hingegen überlebten die Straßenbahnen den Kahlschlag und viele Menschen sind heute auch froh darüber. Eine Folge davon: Während in Wiesbaden nach amtlichen Zahlen der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) nur magere 15,9 Prozent des Verkehrsmarkts abdeckt, sind es in Mainz immerhin 22 Prozent.
Längst sind in Wiesbaden die Kapazitäten der Busse und Straßen für den Autoverkehr an ihre Grenzen gestoßen. Viele Anwohner zentraler Durchgangsstraßen stöhnen über eine hohe Schadstoff- und Lärmbelastung. Ihnen soll die leistungsfähige CityBahn Linderung und gleichzeitig eine schnellere und stressfreiere Fahrt mit bequemeren Umsteigemöglichkeiten zu Bahnen und Bussen bieten. »Während in einer CityBahn 480 Fahrgäste Platz finden, würden an gleicher Stelle sonst drei Gelenkbusse, sechs Standdardbusse oder 400 Autos fahren«, argumentieren die Befürworter des Projekts auf der eigenen Website.
Das Projekt CityBahn ist in Wiesbaden bereits der dritte Anlauf seit zwei Jahrzehnten zur Schaffung einer Schienenverbindung durch die Stadtmitte. Zweimal war es bisher der FDP gelungen, die Bahn vom Gleis zu stoßen. Ein von SPD und Grünen ab 1997 angestoßenes Stadtbahnprojekt, das bereits in trockenen Tüchern schien, wurde nach der Kommunalwahl 2001 jäh ausgebremst. Damals schrieben sich die Liberalen mangels anderer Kampagnethemen den mitunter irrational anmutenden Bürgerprotest gegen eine Bahn zur Anbindung des Umlands auf die Fahnen und verhalfen mit kräftigem Stimmenzuwachs einer von der Rechtspartei Republikaner tolerierten Mitte-Rechts-Koalition im Rathaus zum Durchbruch. Das Bahnprojekt wurde eingestampft, bewilligte Landesmittel wurden für den Ausbau der RegioTram in und um Kassel eingesetzt. Zehn Jahre später stoppte der damalige hessische FDP-Wirtschaftsminister Florian Rentsch das Projekt. Auch jetzt mischen die Liberalen wieder kräftig mit, wenn Bedenkenträger in Leserbriefspalten der Lokalpresse vor Baustellenlärm, Projektkosten, einer Verschandelung des Stadtbilds und vermeintlichen Engpässen für den Autoverkehr warnen. Sie setzen darauf, bei einem Bürgerentscheid vor allem passionierte Autofahrer, die nie oder selten den ÖPNV nutzen, an die Wahlurne zu mobilisieren.
Unterdessen freut man sich in Mainz über den starken Zuspruch für die Ende 2016 eingeweihte »Mainzelbahn«. Die neue Straßenbahntrasse zwischen Hauptbahnhof, Universität und dem von der ZDF-Zentrale geprägten Stadtteil Lerchenberg hat nach Angaben der kommunalen Verkehrsgesellschaft mit rund 6,4 Millionen Fahrgästen pro Jahr bereits alle Erwartungen übertroffen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.