Thüringer Toleranz

Für die rot-rot-grüne Staatskanzlei darf auch der politische Gegner arbeiten

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Man stelle sich das vor: Jemand, der sich offen für die LINKEN in Thüringen begeistert - und trotzdem für die Staatskanzlei arbeitet, die von der CDU geführt wird … In der jüngeren Vergangenheit war das - richtig! - kaum vorstellbar. Eigentlich gar nicht. Die Union im Land hat jahrelang darauf geachtet, mehr oder weniger zentrale Stellen im Land mit Leuten zu besetzen, die ihr im besten Fall sehr nahe waren. Und die mindestens maximalen Abstand zur größten Oppositionskraft im Land - bis zur rot-rot-grünen Regierungsübernahme 2014 war das jahrelang die LINKE - hatten. Deshalb ist der Landesdienst noch heute durchsetzt mit CDU-Sympathisanten.

Bekanntlich aber sind Rot-Rot-Grün und darunter vor allem die LINKEN mit dem Anspruch angetreten, nicht alles anders, aber vieles besser zu machen als die CDU. Weshalb am Anfang dieser Geschichte die Feststellung stehen muss, dass Rot-Rot-Grün bei der Toleranz für parteifremdes Personal in der Landesverwaltung durchaus besser ist als es die CDU in den Jahren zuvor war. So gibt es immerhin in der Thüringer Staatskanzlei auch nach mehr als drei Jahren LINKE-SPD-Grüne-Regierung noch immer sehr CDU-nahe Menschen, die auf wichtigen Positionen für Ministerpräsident Bodo Ramelow und die Spitze der Regierungszentrale arbeiten. Teilweise freilich auch deshalb, weil es gar nicht ausreichend Möglichkeiten gibt, sie im Landesdienst anderweitig zu beschäftigen. Und los wird man Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes - ebenfalls bekanntlich - kaum.

Das, was sich zuletzt in der Staatskanzlei zugetragen hat, geht dann allerdings selbst manch wohlmeinenden Rot-Rot-Grünen zu weit. Nun ja, viel zu weit. Natürlich, sagt jemand, der sich mit diesen Vorgängen auskennt, müsse man parteipolitische Toleranz gegenüber Menschen üben, die schon seit vielen Jahren für den Freistaat arbeiten, auch wenn sie Sympathien für die CDU hätten. »Aber muss man sich denn neue CDU-Leute mitten ins Nest setzen? Leute, die gerade mit der Schule fertig sind?«

Dieses Missfallen, das machen sie bei Rot-Rot-Grün und auch auf manchen Fluren der Staatskanzlei klar, zielt weniger auf die junge Frau, von der gleich zu schreiben sein wird. Sondern auf den Chef der Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff, einen Linken. Immerhin, so heißt es in Erfurt, habe er dieser jungen Frau dazu verholfen, dass sie einen Werkvertrag mit der Staatskanzlei erhalten habe.

Dass es diesen Werksvertrag gibt, bestätigt ein Regierungssprecher. Die junge Frau habe vor Kurzem ein Praktikum in der Staatskanzlei - die mit TSK abgekürzt wird - absolviert und im Anschluss nach Möglichkeiten gefragt, ihre Erfahrungen aus der Pressearbeit auf Basis eines Werkvertrages für studentische Hilfskräfte zu vertiefen. »Der Bitte wurde nach Prüfung durch die zuständigen Abteilungen der TSK stattgegeben«, sagt der Regierungssprecher. Deshalb liefere die Frau nun gelegentlich Fotos und Bildtexte für die Auftritte des Freistaats in den sozialen Medien. Sie sei der zweite Dienstleister, den die Staatskanzlei gelegentlich mit der Lieferung von Fotos und Bildtexte beauftrage. »Es wird angestrebt, einen Pool von Dienstleistern aufzubauen, der mit solchen Aufgaben beauftragt werden kann.«

So weit, so unspektakulär. Wäre da nur eben nicht die politische Einstellung der jungen Frau. Die ist demokratisch betrachtet freilich keinesfalls zu beanstanden. Aber sie ist eben doch weit entfernt von den politischen Positionen der Hausleitung in der LINKE-geführten Staatskanzlei. Die junge Frau nämlich steht der Thüringer CDU nicht nur ein bisschen nahe. Das macht schon eine kurze Recherche in den - logisch! - sozialen Netzwerken klar.

Nicht nur, dass sie ausweislich ihrer Gefällt-mir-Angaben im Netz zum Beispiel ein großer Fan des CDU-Mannes Jörg Geibert ist; und auch den neu gewählten CDU-nahen Oberbürgermeister von Weimar, Peter Kleine, offenbar toll findet. Geibert hat sich in der Sohnemann-Affäre inzwischen zum Chefankläger von Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) hochgearbeitet. Kleine hat den SPD-Mann Stefan Wolf vom Oberbürgermeister-Thron gestoßen. Die junge Frau - die 2016 noch in die Schule ging - hat zudem 2017 ein Praktikum bei der CDU-Bundestagsabgeordneten Antje Tillmann in Berlin absolviert. »Viel schwärzer kann man in dem Alter kaum sein«, ätzt jemand aus den rot-rot-grünen Fraktionen.

Weshalb der Regierungssprecher den Werkvertrag mit der jungen Frau zu einer Stärke von Rot-Rot-Grün umdeutet: »Grundsätzlich gilt, dass parteipolitische Zugehörigkeiten oder Sympathien für die Thüringer Staatskanzlei keine Einstellungskriterien darstellen«, sagt er. Das gelte für die Vergabe von Werkverträgen. »Ungeachtet parteipolitischer Ausrichtung unterstützt die Staatskanzlei nach Möglichkeit das Engagement junger Menschen in und für demokratische Institutionen.«

Und was eine Frage offen lässt: Werden sich CDU-Männer und -Frauen - sollten sie mal wieder in Thüringen regieren - bei jungen linken Frauen erkenntlich zeigen?

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