Das Symbol der Übernahme

Erste umfassende Studie über Treuhandanstalt wurde in Sachsen vorgestellt

  • Hendrik Lasch, Hoyerswerda
  • Lesedauer: 4 Min.

Es hätte für die DDR-Wirtschaft auch Alternativen gegeben. Anteilsscheine etwa, mit denen die Ostdeutschen ab Sommer 1990 an DDR-Betrieben hätten beteiligt werden können, womit sie im Wortsinne zu Volkseigentum geworden wären. Die Unternehmen hätten auch in Genossenschaften umgewandelt werden können. Zunächst, so der Plan am Runden Tisch, wollte man sie aber in einer Treuhandanstalt zusammenfassen. Sie war konzipiert als »Bewahrungsanstalt für Volksvermögen«, sagt der Historiker Marcus Böick, der in Sachsen-Anhalt gebürtig ist und in Bochum arbeitet.

Es kam rasant sehr anders. Im Sommer 1990 entschied sich die Bundesregierung für die »Variante Schocktherapie«: eine schnelle Wirtschafts- und Währungsunion, mit der die DDR-Betriebe über Nacht ins kalte Wasser der Marktwirtschaft geworfen wurden. Märkte brachen weg, Löhne waren in D-Mark zu zahlen. Und der Zweck der Treuhandanstalt »wurde um 180 Grad gedreht«, sagt Böick. Er hat im Rahmen seiner Dissertation eine Studie über die Treuhand erarbeitet, für die erstmals auch auf umfangreiche Akten zurückgegriffen werden konnte und die am 2. Juli erscheint.

Statt das Volksvermögen zu bewahren, wurde es nun im Eiltempo privatisiert - und, wo das nicht möglich war, abgewickelt. Das Tempo war atemberaubend. Von 8500 Betrieben im Sommer 1990 waren bis zum Ende der Treuhandanstalt 1994 nur 601 nicht den einen oder anderen Weg gegangen. Zwei Drittel wurden verkauft, weit überwiegend an Unternehmer aus dem Westen, 30 Prozent dicht gemacht. Von einst vier Millionen Arbeitsplätzen blieben höchstens 1,1 Millionen. Das hatte, sagt Böick, »eine immense Schockwirkung für die ostdeutsche Gesellschaft«.

Die Wirkung hält bis heute an. Von »Verbitterung, die uns entgegen schlägt«, spricht Petra Köpping, Integrationsministerin in Sachsen. Die SPD-Frau hatte nach dem Aufkommen von Pegida und AfD nach Gründen gesucht - und einige auch in den Verletzungen der Nachwendezeit entdeckt. Damals seien Hunderttausende über Nacht arbeitslos geworden und ganze Generationen abgewandert; die gebrochenen Erwerbsbiografien haben für viele Altersarmut zur Folge. Als es im Sommer 2015 um die Integration von Flüchtlingen ging, hätten viele gefordert: »Integriert erst einmal uns!«, berichtet Köpping. Sie setzt sich seither für eine bessere Anerkennung ostdeutscher Lebensleistungen ein - und für eine schonungslose Aufarbeitung der Nachwendezeit. Böicks Studie zur Treuhandanstalt, die sie jetzt bei zwei Veranstaltungen gemeinsam mit dem Autor vorstellte, soll dazu beitragen.

Tatsächlich ist die Institution vor allem unter Älteren ein Inbegriff dafür, was nach 1989 im Osten falsch gelaufen ist. In Befragungen würden damit Begriffe wie Ausverkauf, Abwicklung, Betrug und Zerschlagung assoziiert. Die Treuhand sei »ein Symbol für die Übernahme des Ostens durch den Westen« und ein »sehr negativ bewerteter Gegenstand der Erinnerungskultur«, sagt Böick. Es sei dabei ein ironischer Umstand, dass der Großteil des Personals - im Juli 1992 immerhin 2743 von 3930 Treuhand-Mitarbeitern - Ostdeutsche waren. In der Führungsebene saßen indes ältere Manager aus dem Westen; zudem wurden junge Westdeutsche angeheuert, die arrogant auftraten und »maßgeblich für den schlechten Ruf« sorgten. Im Einzelfall konnte das anders aussehen. Bei der Vorstellung der Studie in Hoyerswerda berichtete der Ex-Betriebsratschef einer Papierfabrik, wie die Treuhand zunächst einen in Bayern wegen Unfähigkeit entlassenen Manager schickte - ihn nach Intervention der Belegschaft aber wieder abberief. »Es war nicht alles schwarz oder weiß«, sagt Böick, der einräumt, man wisse »wenig über konkrete Einzelfälle«.

Dazu trägt der Umstand bei, dass vorhandene Akten, die sagenhafte zehn Regalkilometer füllen, nach Angaben des Historikers in einem »chaotischen« Zustand sind und Einsicht erst nach zähem Ringen mit Ministerien und Bundesarchiv möglich war. Inzwischen seien vier befristet eingestellte Mitarbeiter mit der Aufarbeitung beschäftigt, die aber noch »bis weit in die 2020er Jahre« andauern werde, sagte Böick in Hoyerswerda vor einem Publikum, das in Relation zur Brisanz des Themas eher übersichtlich war. »Für viele ist das noch immer zu schmerzhaft, als dass sie darüber sprechen wollten«, glaubt Köpping. Und manchen sind wohl neuere Ungerechtigkeiten wichtiger als die Zeit vor 28 Jahren. So wie bei der Treuhandanstalt, sei auch in heutigen Ministerien die Führungsspitze westdeutsch dominiert, stellt eine Lehrerin im Auditorium fest. Köpping kann nur achselzuckend zustimmen. Von elf Staatssekretären in Sachsen, sagt sie, kämen zwei aus dem Osten. Auch das ein »Symbol für die Übernahme«, das für so viel Ärger sorgt.

Marcus Böick: Die Treuhand. Idee, Praxis, Erfahrung 1990-1994. Wallstein Verlag, 79 Euro (ab 2. Juli)

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