• Politik
  • Nulltarif-Nahverkehr in Hanau

Ernüchterung in der »Brüder-Grimm-Stadt«

Kein Nulltarif-Modellprojekt im öffentlichen Nahverkehr im hessischen Hanau

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die hessische Industriestadt am Main wird nicht in den bundesweiten »Modellversuch« der Bundesregierung zur Erprobung eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrsangebots aufgenommen. Das geht aus einem Schreiben von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) an Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) hervor, das dieser Tage veröffentlicht wurde.

Wie ernst war die Ankündigung der Bundesregierung vom Februar 2018 zur Einführung eines Nulltarifs für Busse und Bahnen im öffentlichen Nahverkehr gemeint? Diese Frage stellen sich viele kritische Zeitgenossen in Hessen dieser Tage. Im Februar hatte Oberbürgermeister Kaminsky die damals amtierenden Bundesminister für Umwelt, Verkehr und Finanzen angeschrieben und seine Stadt zur Durchführung eines Modellversuchs angeboten. Dabei bezog er sich auf die unter dem Druck der EU-Kommission losgetretene Debatte über den Nulltarif im Nahverkehr als Mittel zur Reduzierung der Schadstoffbelastung in Innenstädten.

»Zu lange hat eine Mobilitätswende hin zu umweltfreundlicherem Verkehr bisher auf sich warten lassen. Es ist höchste Zeit zu handeln«, so Kaminsky in dem Brief. Es sei in der Vergangenheit »zu wenig beachtet worden, dass durch immer wiederkehrende Tarifsteigerungen Busse und Bahnen gerade für Menschen mit geringerem Einkommen zunehmend schwerer bezahlbar geworden sind«, gab der Kommunalpolitiker zu bedenken. Gleichzeitig sei »eine Gerechtigkeitslücke dadurch entstanden, dass Gruppen wie beispielsweise Landesbedienstete in Hessen in den Genuss von Gratisfahrten inklusive Mitnahmeregeln für ihre Familien kommen«, so Kaminsky unter Verweis auf eine seit Jahresbeginn gültige Regelung, die im Frühjahr 2017 zwischen der Landesregierung und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes tarifvertraglich vereinbart worden war. »Mit einem unentgeltlichen oder stark verbilligten ÖPNV würde die hier skizzierte soziale Schieflage ein Stück weit beseitigt.«

Die »Brüder-Grimm-Stadt« Hanau liegt am östlichen Rand des Rhein-Main-Ballungsgebiets, ist Sitz zahlreicher Unternehmen und hat derzeit knapp 100 000 Einwohner. Mit der Entwicklung neuer Wohngebiete für rund 5000 Menschen will man demnächst in den Rang einer Großstadt aufsteigen. »Aus der von der Bundesregierung angestoßenen Debatte im Zusammenhang mit drohenden Fahrverboten im Individualverkehr, die das kommunale Leben im Mark erschüttern würden, lässt sich klar der volkswirtschaftliche Nutzen des ÖPNV ableiten«, so Kaminskys Plädoyer.

Hanaus Verwaltungschef hatte wochenlang auf eine Antwort aus Berlin gewartet und sich noch Mitte April hoffnungsvoll gezeigt, nachdem sich die neue Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) gegenüber Medien grundsätzlich für eine deutliche Senkung der Bus- und Bahntarife im öffentlichen Personennahverkehr ausgesprochen hatte. Doch Anfang Mai stellte dann der federführende Verkehrsminister Scheuer in einem Schreiben an Kaminsky klar, dass es bei den für den Versuch vorgesehenen Kommunen Bonn und Essen (Nordrhein-Westfalen) sowie Mannheim, Herrenberg und Reutlingen (Baden-Württemberg) bleibe. »Ich bitte daher um Verständnis, dass eine Erhöhung der Anzahl der Modellstädte nicht vorgesehen ist«, so der CSU-Minister. Damit geht Hessen bei der Auswahl der Modellstädte leer aus.

Während sich die Hanauer Stadtverwaltung auf nd-Anfrage »weder enttäuscht noch verstimmt« gab, macht die Ablehnung des Hanauer Begehrens durch Scheuer aus der Sicht der hessischen Linksfraktionsvorsitzenden Janine Wissler deutlich, »wie fadenscheinig der ganze ›Modellversuch‹ der Bundesregierung ist«. Er diene offenbar lediglich dazu, Aktionismus gegen die Schadstoffbelastung in den Städten zu simulieren, ohne sich mit der mächtigen Autoindustrie anzulegen, so Wissler. Leider gebe es auch aus der Landesregierung wenig Unterstützung, und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) lehne die Forderung nach Nulltarif ab, bemängelte die Abgeordnete. Die schwarz-grüne Landtagsmehrheit habe in der Vergangenheit bereits mehrere Anträge ihrer Fraktion abgelehnt, mit denen Modellversuche und eine entsprechende finanzielle Unterstützung von Kommunen durch das Land ermöglicht werden sollten.

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