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  • Fußball in Jemen

Jeder Sieg eine Sensation

Das kriegsgeplagte Jemen hat noch immer eine Fußball-Nationalelf. Erstmals schaffte sie es zur Asienmeisterschaft

  • Oliver Eberhardt, Amman
  • Lesedauer: 7 Min.

Alos Ahmed Abdullah blickt auf sein Mobiltelefon, immer und immer wieder. »Nichts Neues?«, fragt sein Kollege Ahmed Saed Abdulrab sorgenvoll, »wahrscheinlich kein Strom!« Die saudische Luftwaffe hat gerade einen Stadtteil von Sana‘a bombardiert. »Meine gesamte Familie ist noch dort,« erzählt Abdullah, das sei schon sehr schwer zu ertragen.

Die beiden 24-Jährigen sitzen in einem Café in der jordanischen Hauptstadt Amman und teilen die Sorgen um Familie und Freunde. »Wenn wir den normalen Weg gegangen wären, dann wären wir jetzt Feinde«, sagt Abdulrab. Denn er selbst stammt aus Aden, das von der international anerkannten Regierung von Präsident Abedrabo Mansur al Hadi kontrolliert wird. Abdullah kommt aus Sana‘a, direkt aus den von Huthi-Milizen kontrollierten Gebieten. Seit Jahren befinden sich Regierung und Huthi-Milizen in einem erbitterten Krieg, an dem sich auch die Luftwaffe Saudi-Arabiens auf Seiten der Hadi-Regierung beteiligt. Weil die Arbeitslosigkeit hoch ist, und die Lebenshaltungskosten noch höher, schließen sich viele junge Männer dem Militär an und treten in eine der diversen Kampfgruppen ein, denn dort wird man bezahlt.

Doch warum sich bekämpfen »für irgendwas, was keiner mehr kapiert«, wie Abdullah sagt? Stattdessen kämpfen sie Seite an Seite für Jemen, auf dem Fußballplatz. Als Nationalspieler treten sie für ein Land an, das in eine Vielzahl von Gebieten gespalten ist, in denen mal diese, mal jene Miliz oder mal die Regierung das Sagen hat. Dennoch haben sie nun etwas vollbracht, was von einheimischen und internationalen Medien als »Wunder« bezeichnet wird: Die Nationalmannschaft Jemens hat sich für die Asienmeisterschaft Anfang 2019 in den Vereinigten Arabischen Emiraten qualifiziert, und damit für das allererste namhafte internationale Turnier überhaupt.

Es ist kaum möglich, die Bedeutung der Qualifikation für die Menschen in Jemen zu übertreiben: Tagelang wurden die Schlagzeilen in Jemen nicht von Krieg und Zerstörung beherrscht; die 23 Spieler im Kader avancierten über die Konfliktgrenzen hinweg zu Nationalhelden. »Das ist ein gutes Zeichen«, sagt Ismail Scheich Ould Ahmed, ein mauretanischer Diplomat, der im Auftrag der Vereinten Nationen mehrere Jahre lang meist vergeblich versuchte, zuerst einen Frieden, später dann wenigstens Waffenstillstände auszuhandeln, bevor er den Job frustriert aufgab. »Dass noch ein gemeinsames Nationalbewusststein existiert, ist etwas, das Hoffnung gibt.«

Dabei wirken die Ergebnisse der Jemeniten, Nummer 124 auf der Weltrangliste, in der Qualifikationsrunde eher unbeeindruckend: Die meisten Spiele endeten unentschieden, nur gegen die Malediven (148. der Weltrangliste), Tadschikistan (120.) und Nepal (164.) gewann die Mannschaft, die in Jemen den Spitznamen »Rote Teufel« trägt. Dennoch empfand das Team den Weg dorthin als einen »unendlichen Hindernislauf mit schwerem Gepäck«, wie Trainer Abraham Mebratu es umschreibt.

Der 48-jährige Äthiopier trainiert die Nationalmannschaft Jemens seit 2017. Mit seinen Spielern ist der Äthiopier gerade aus Katar in der jordanischen Hauptstadt Amman angekommen. Irgendwann in den kommenden Tagen soll - vielleicht von hier aus, vielleicht auch aus Kairo - eine Maschine in Richtung Jemen starten. Vielleicht.

Für ihn und Abdullah ist Mebratu mehr als ein Trainer. »Wenn man in Jemen aufgewachsen ist, wenn man die Bombenangriffe und Anschläge miterlebt hat, dann glaubt man leicht, dass man in der Welt keine Freunde mehr hat.« Als 2015 der Krieg ausbrach, war Mebratu Jugendnationaltrainer in Jemen. Während so gut wie jeder, der einen ausländischen Pass hat, das Land verließ, blieb Mebratu und machte weiter. »Ich würde die Jugendlichen nie allein lassen«, erzählt Mebratu. »Fußball kann die Welt nicht retten, aber er gibt für ein paar Momente Entspannung und Freude.«

Um ihn und die Spieler herum brach damals zunächst der Ligabetrieb zusammen, dann die gesamte Fußballinfrastruktur. Stadien wurden zu Militärlagern umfunktioniert, und dann meist irgendwann zerstört. Anfangs versuchte der Fußballverband noch, wenigstens die Nationalmannschaft am Laufen zu halten, verpflichtete zunächst Vladimir Petrović, der einst für Roter Stern Belgrad spielte, später dann den Tschechen Miroslav Soukup als Trainer für die WM-Qualifikation - vergeblich. Zwei Siege gelangen, einer gegen Pakistan, einer gegen die Philippinen. Dann gingen Spieler und Betreuer ihrer Wege und ließen einen Fußballverband zurück, der im Grunde nur noch aus Verbandschef Ahmed Saleh al Eissi und Jugendtrainer Mebratu bestand.

»Plötzlich war ich Nationaltrainer ohne Mannschaft,« sagt Mebratu, die habe er sich erst mal zusammensuchen müssen. »Das war schwer: Es gibt ja keine Matches, bei denen man Spieler beobachten kann. Und auf die bisherigen Spieler konnte man oft nicht zurückgreifen. Viele waren krank oder verletzt.« So sei er wochenlang durch die Gegend gefahren und habe sich mit einstigen Ligaspielern getroffen, bis er eine Mannschaft zusammen hatte. »Die Hauptkriterien waren dabei zum einen die körperliche Verfassung, aber auch die Einstellung zum Konflikt,« sagt Mebratu. »Wir waren uns einig, dass wir eine echte Nationalmannschaft haben wollen - ohne die Konflikte, die Jemen zerstören.«

»Wir haben uns gedacht, dass wir gerade jetzt erst recht eine Nationalmannschaft brauchen«, sagt auch Verbandspräsident al Eissi am Telefon in Sana‘a gegenüber »nd«. Verband und Team müssten für das ganze Land da sein. Man stehe auf keiner Seite.

Ob es denn überhaupt keine Konflikte gebe? »Natürlich«, sagt Spieler Abdullah, »es wird viel über Politik gesprochen, über die Situation zu Hause, und wir haben auch schon laut gestritten und uns gegenseitig die Schuld gegeben.« Der Wendepunkt sei gekommen, als zwei Mitspieler kurz vor der Abreise zu einem Auslandsspiel innerhalb weniger Stunden an zwei verschiedenen Orten erschossen wurden, der eine von Regierungstruppen, der andere von Huthi-Milizen. »Da haben wir alle erst einmal gespürt, wie völlig idiotisch das Ganze ist.«

Tage später lief die Mannschaft am 2. Juni 2016 in Malé gegen die Malediven auf, gewann 2:0. »Das war ein Gefühl der Einheit«, sagt Abdulrab, »etwas wirklich Wunderbares.« Gut 70 Stunden lang war die Mannschaft zuvor quer durch Jemen und Oman bis in dessen Hauptstadt Muskat gereist, um von dort aus mit mehrmaligem Umsteigen auf die Malediven zu fliegen. »Wir waren alle schon vor dem Spiel völlig kaputt, sind aber auf der Reise auch zu einer echten Nationalmannschaft geworden«, so Abdullah. »Nach so vielen Stunden wissen alle alles über alle.« Doch nach außen hin hat Mebratu die Devise ausgegeben, möglichst gar nicht über die eigenen Ansichten zu sprechen; keine der Konfliktparteien soll die Nationalmannschaft für sich beanspruchen können.

Spielerisch ist seine Strategie indes, eher ein Unentschieden und einen Punkt mitzunehmen und mit voller Kraft nur in die entscheidenden Spiele zu gehen. »Unter diesen Bedingungen geht einfach nicht mehr. Wir haben keine Mannschaftsärzte und eigenen Köche dabei, während man die Spieler nach so langer Zeit mit schlechter Ernährung und wenig Training erst einmal aufbauen muss.«

Die Medien, egal von welcher Konfliktpartei, haben sich daher Zurückhaltung auferlegt. »Eine Niederlage ist immer ehrenhaft, wenn die Mannschaft das Spiel überstanden hat,« sagt Hischam al Mukir, freier Journalist aus Jemen. »Eine Niederlage mit eigenen Toren ist eine Errungenschaft, ein Unentschieden ist eine glorreiche Errungenschaft, ein Sieg ist eine Sensation, und eine geschaffte Qualifikation ist ein Wunder.«

Zur Hilfe kam beim Erreichen der Endrunde der Asienmeisterschaft eine andere internationale Krise - der Zwist zwischen Katar und Saudi-Arabien: Schon seit 2015 hatte Jemen die Heimspiele in Katar austragen müssen, ab Anfang 2017 finanzierten katarische Unternehmen dann auch Trainingslager und Reisen für die jemenitischen Nationalspieler, viele von ihnen kamen bei katarischen Klubs unter. Wie es dazu kam, dazu wollen weder Katar noch Mebratu Auskunft geben. Überhaupt sind alle bei Fragen nach der Finanzierung ausgesprochen schweigsam.

Salah bin Ghanem al Thani, der katarische Sportminister sagt immerhin recht offen, dass man damit einen »Gegenakzent« zu Saudi-Arabien setzen wollte, dessen Luftwaffe immer wieder Angriffe auf Huthi-kontrollierte Gebiete fliegt, und deshalb international in der Kritik steht. »Wir sind für den Frieden, und Sport ist ein Beitrag dazu«, sagt al Thani. Dass man die Finanzierung offiziell über Sponsoren abwickelt, liegt vor allem daran, dass man den Eindruck staatlicher Einflussnahme vermeiden will.

Den Spielern selbst ist es indes recht egal, was Katar damit bezweckt. »Man genießt die schönen Hotelzimmer, die bequemen Flugzeugsitze, das anständige Essen. Man beneidet diejenigen, die bei katarischen Klubs einen Job gefunden haben«, sagt Abdullah. Er träume davon, 2022 bei der WM-Endrunde in Katar auf dem Platz zu stehen, sagt Abdulrab und wendet sich an Mebratu, der sagt, dass er gerne mal sein Heimatland trainieren würde: »Dann zeigen wir dir, wer die Roten Teufel sind.«

Per Telefon kommen kurz darauf gute Nachrichten: Am Abend wird ein Flug nach Aden gehen. »Einmal ohne Rückenschmerzen ankommen!«, freut sich Ahmed Abdulrab. Und wichtiger: Alos Abdullahs Familie geht es gut.

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