- Die andere Türkei
- Kontroverse um Özil und Gündoğan
Tore aus dem Abseits - gegen die Opposition
Yücel Özdemir über zwei deutsche Nationalspieler, die öffentlichkeitswirksam den türkischen Präsidenten trafen
Mit Recht haben das Treffen und die gemeinsamen Fotos der deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündoğan mit dem Präsidenten der Türkei Kritik geerntet. Unter normalen Bedingungen kann jeder mit wem auch immer solche Treffen abhalten. Sind die Bedingungen jedoch nicht normal, dann ist es wichtig zu wissen, mit wem man sich zum Gespräch trifft. Nach den heftigen Reaktionen sagten Özil und Gündoğan, sie hätten mit dem Treffen keine politische Botschaft aussenden wollen. Sie hätten allerdings wissen müssen, dass ein Treffen mit Erdoğan eine Steilvorlage für ihn bedeuten würde.
Es war nicht das erste Mal, dass Özil mit Erdoğan zusammenkam. Im November 2012 traf er sich schon einmal mit ihm in einem Hotel in Madrid. Dass das Treffen vor sechs Jahren keine Rolle in den Medien spielte, hängt nicht mit Özil, sondern mit der Position Erdoğans zusammen.
Yücel Özdemir wurde 1968 in der türkischen Stadt Varto geboren. Er lebt mit seiner Familie in Köln.
Neben seinem Mathematikstudium an der Universität Istanbul war Özdemir verantwortlicher Redakteur der linken Wochenzeitschrift "Gerçek" (Realität), der Vorläuferin der Tageszeitung "Evrensel". Nach der Veröffentlichung eines geheimen Militärprotokolls, in dem es um die Bespitzelung von Kurden, Aleviten und Linken ging, machte ihm die türkische Justiz den Prozess wegen „Landesverrats“. Er flüchtete im August 1993 nach Deutschland. Seit Jahren schreibt Özdemir für "Evrensel" Berichte und Kolumnen aus Deutschland. Er gehört zu den 50 Journalisten, die beim NSU-Prozess einen ständigen Beobachterplatz erhalten haben und teilt seinen Platz mit "neues deutschland".
Der Hauptgrund für die Kontroverse, die in den vergangenen Tagen stattfand, ist die Veränderung der politischen Bedingungen im Vergleich zu damals. Erdoğans Staatsumbau hin zu einem autoritären Regime, der Druck auf diejenigen, die sich ihm widersetzen sowie die Zerstörung der Pressefreiheit, werden in Europa seit langem kritisiert. Es gibt niemanden, der das nicht mitbekommen hat.
Zur Kolumne von Yücel Özdemir in türkischer Fassung: Ofsayttan muhalefetin kalesine gol hesabı
Da das Gespräch zwischen den Fußballern und dem türkischen Präsidenten mit dem Wahlkampf zusammenfiel, soll es natürlich auch den Zweck erfüllen, bei in den europäischen Ländern ansässigen Türkeistämmigen - vor allem in Deutschland - Stimmen zu mobilisieren. Die in Deutschland geborenen, jungen Deutschtürken sind dafür bekannt, im Vergleich zu anderen Altersgruppen eher selten von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Mit dem Treffen in London wurde eine Botschaft an diese Jugendlichen gesendet: Sie sollen bei den Wahlen Erdoğan ihre Stimme geben.
Özil und Gündoğan mögen sich selbst und ihren Auftritt zwar nicht für wesentlich für diesen Wahlkampf halten, aber diejenigen, die sie eingeladen und das Treffen organisiert haben, haben natürlich den politischen Nutzen berechnet. Dass es auch anders geht, zeigte der Nationalspieler Emre Can, der in Liverpool spielt, und eine vorbildliche Haltung einnahm, indem er die Einladung ausschlug und sich nicht zum Instrument für diese Pläne machen ließ.
Nun. Ist dieser Plan aufgegangen? Wenn man sich die Debatten in den deutschen Medien und die vielen rassistischen Reaktionen anschaut, muss man sagen, dass Erdoğan bei der konservativen türkeistämmigen Wählerschaft wohl Pluspunkte sammeln konnte. Kritische Reaktionen kamen eher von denjenigen, die Erdoğan ohnehin nicht leiden können! Das türkische Regime hat also - quasi aus dem Abseits - ein Tor gegen die Opposition geschossen.
Glücklicherweise hat der deutsche Bundestrainer Joachim Löw das bemerkt und die zwei Fußballer nicht aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen. Wäre dies geschehen, hätte das Erdoğan am meisten genutzt.
Auch der Integrationsprozess hätte damit großen Schaden genommen. Besonders Özil spielt unter Einwanderern aus der Türkei eine wichtige Rolle dabei, dass sie sich der deutschen Nationalmannschaft verbunden fühlen. Özil, der die deutsche Nationalmannschaft der türkischen vorzog, war auch immer wieder Zielscheibe türkischer Nationalisten, die ihn heute zwar loben, aber in der Vergangenheit als »Vaterlandsverräter« beschimpften.
Die Geschichte um Özil und Gündoğan erinnert zudem an die des kurdischen Fußballers Deniz Naki. Er wurde von der türkische Presse und von nationalistischen Fußballfans angegriffen, angeklagt und bekam lebenslänglich Fußballverbot, weil er Erdoğans Politik kritisiert hatte. Özil und Gündoğan haben damals mit keinem Wort ihren Kollegen unterstützt.
Aus dem Türkischen von Nelli Tügel
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