Maduro bleibt Präsident

Wahl im Zeichen der Zerrissenheit des Landes / Mehr als die Hälfte der Berechtigten blieb der Abstimmung fern

  • Andreas Knobloch, Caracas
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwanzig nach zehn am Sonntagabend trat die Leiterin der Nationalen Wahlbehörde (CNE), Tibisay Lucena, in Caracas vor die Fernsehkameras und verkündete das Ergebnis der venezolanischen Präsidentschaftswahlen: Nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen lag der bisherige Präsident Nicolás Maduro mit einem Stimmenanteil von 68 Prozent uneinholbar in Führung. Seine Herausforderer, der gemäßigte Oppositionskandidat Henrí Falcón, ein früherer Chavist, und Javier Bertucci, ein evangelischer Pastor und Geschäftsmann, landeten mit 21 bzw. elf Prozent abgeschlagen auf den Plätzen.

Noch bevor das vorläufige Endergebnis feststand, hatte Falcón vor Medienvertretern zahlreiche Unregelmäßigkeiten angeprangert und dem Wahlprozess die Anerkennung verweigert. »Wir erkennen diesen Wahlprozess nicht als gültig an«, sagte er. »Für uns gab es keine Wahlen, es muss Neuwahlen geben in Venezuela.« Er habe noch nie erlebt, dass ein unterlegener Kandidat die Ergebnisse nicht anerkennt, bevor die Ergebnisse überhaupt feststehen, entgegnete Maduro in seiner Siegeransprache später. Allerdings beklagte auch Bertucci Verstöße, ging aber nicht so weit, Neuwahlen zu fordern. Er wolle zunächst abwarten, inwieweit Unregelmäßigkeiten das Wahlergebnis beeinflusst haben.

Sowohl Falcón als auch Bertucci warfen der Regierung vor, die Anfang März geschlossene Garantievereinbarung über eine faire Wahl gebrochen zu haben. Vor allem störten sie sich an den Puntos Rojos, Roten Punkten, in der Nähe der Wahllokale. Die Roten Punkte sind Stände der regierenden Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas, an denen die Wähler angehalten sind, sich zu registrieren, um in den Genuss staatlicher Sozialleistungen zu kommen. Laut Regierung dienen sie der Wählermobilisierung - unabhängig vom politischen Lager. Die Oppositionskandidaten dagegen prangern dies als Stimmenkauf an.

»Der Wahlprozess heute war nach meinem Eindruck sauber, das haben auch die in den Wahllokalen anwesenden Zeugen verschiedener Parteien bestätigt«, sagte dagegen der LINKE-Bundestagsabgeordnete Michel Brandt, der auf Einladung des CNE als Wahlbeobachter in Venezuela weilt. Es habe schon im Vorfeld eine Debatte über die Roten Punkte gegeben, so Brandt. »Ich finde diese Verquickung von Parteiaktivität und staatlicher Fürsorge ungut.« Die Wahlbehörde hatte die Stände bereits am Samstag untersagt. »Was ich bisher nicht nachvollziehen kann, ist der Vorwurf, an den Parteiständen sei das Wahlergebnis verfälscht worden. Dort, wo wir darauf hingewiesen haben, dass die Stände nicht den vereinbarten Abstand von 200 Metern haben, wurde das korrigiert«, sagte Brandt dem »nd«.

Ansonsten sorgte vor allem die Wahlbeteiligung für Polemik. Bereits vor den Wahlen hatten die USA, die EU und mehrere lateinamerikanische Staaten erklärt, die Wahlen nicht anzuerkennen und deren Absage gefordert. Die Opposition hatte zum Boykott aufgerufen. Falcóns Kandidatur war vom radikalen Flügel denn auch heftig kritisiert worden. Falcón hoffte, enttäuschte Chavisten und gemäßigte Oppositionsanhänger mobilisieren zu können. »Si votamos, ganamos!« (»Wenn wir wählen, gewinnen wir!«), so sein Wahlslogan. Experten waren sich im Vorfeld einig, nur bei massiver Wahlbeteiligung hätte Falcón eine Siegchance. Doch bereits am Sonntagvormittag war absehbar, dass die Wahlbeteiligung gering ausfallen würde.

In Chacao, einem der besseren Viertel von Caracas, waren die meisten Wahllokale wie ausgestorben; die wenigen geöffneten Cafés dagegen gut besucht. Chacao gilt als Hochburg der Opposition und war einer Hauptschauplätze der zum Teil gewaltsamen Proteste des vergangenen Jahres. In Petare, einem einfachen Viertel im Osten von Caracas, in dem mehr Maduro-Anhänger zu Hause sind, war schon mehr los. Zwar gab es auch hier keine Schlangen vor den Wahllokalen, aber doch ein ständiges Kommen und Gehen von Abstimmungswilligen. Im Wahllokal Ambulatorio Nueva Caracas, im Viertel Catia, wo viele Regierungsanhänger zu Hause sind, hatte bis 14 Uhr rund ein Drittel der hier registrierten Wähler abgestimmt, wie die Koordinatorin des Wahllokals, Dayana Silva, gegenüber »nd« mitteilte.

Laut Lucena lag die Wahlbeteiligung bei 46 Prozent und könnte sich noch auf 48 Prozent erhöhen. So oder so ist es die geringste Wahlbeteiligung bei Präsidentschaftswahlen in der jüngeren Geschichte Venezuelas. Bei den Wahlen 2013 hatte die Beteiligung bei 80 Prozent gelegen. Diesmal waren viele Oppositionsanhänger dem Boykottaufruf gefolgt; andere sind nach den Protesten im vergangenen Jahr und angesichts der schwere Wirtschaftskrise politikmüde. Vorwürfe, die Regierung habe die Wahlbeteiligung nach oben korrigiert, wurden laut. »Die angegebene Wahlbeteiligung entspricht meinem Eindruck«, sagt dagegen Brandt.

Der wiedergewählte Präsident Maduro kritisierte seinen Herausforderer Falcón scharf für dessen Haltung, die Wahl nicht anerkennen zu wollen. Gleichzeitig unterbreitete er Bertucci und Falcón ein Dialogangebot, um über die Zukunft Venezuelas zu reden. Ob diese dazu bereit sein werden, erscheint nach diesem Wahlsonntag zumindest zweifelhaft.

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