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Den Blick auf das Wesentliche

Sachsens Grüne wechseln 16 Monate vor der Landtagswahl ihren Fraktionschef

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.

Wolfram Günther war vor Jahren einmal DDR-Vizemeister im Schwimmen. Die Biografie des 44-Jährigen erinnert freilich eher an einen Zehnkämpfer. Er hat Banker gelernt und nach Jura auch Kunstgeschichte studiert; er hat als Anwalt fluglärmgeplagte Bürger vor Gericht vertreten und in seiner Magisterarbeit am Denkmal des Leipziger Baumeisters Hieronymus Lotter gekratzt; er ist Sprecher des Stadtforums Leipzig und seit 2004 auch Mitglied in der achtköpfigen Grünen-Fraktion im Landtag. Nun strebt er am Mittwoch auch noch deren Vorsitz an.

Ein Mann mit immens vielen Interessen, der den Grünen freilich helfen will, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Diese müssten wieder stärker mit »ihren Kernaufgaben« wahrgenommen werden, »dem, was Grün ausmacht«, sagt Günther. Der umweltpolitische Sprecher der Fraktion zählt dazu vor allem Themen aus seinem Arbeitsbereich: Natur- und Klimaschutz, ökologische Landwirtschaft, Mobilität und bezahlbares Wohnen. Diese Fokussierung soll der Fraktion und der Partei zu öffentlicher Wahrnehmung verhelfen, an der es zuletzt mangelte. »Wir leisten fachlich gute Arbeit und haben viele gute Konzepte«, sagt Günther, »aber es fehlt an Aufmerksamkeit.«

Der designierte Chef will das nicht als Kritik am bisherigen Amtsinhaber, dem Chemnitzer Volkmar Zschocke, verstanden wissen. Er spricht von einer »Umgruppierung«, die freilich zu einem pikanten Zeitpunkt erfolgt: In 16 Monaten wird ein neuer Landtag gewählt. Zentrale Frage dürfte sein, ob es der AfD nach der Bundestagswahl 2017 erneut gelingt, die CDU in Sachsen zu überholen. Es droht wieder ein hoch emotionaler Wahlkampf, in dem es stärker um Zuwanderung und Sicherheit als um Ökologie geht. Günther hofft dennoch, dass seine Partei eigene Themen platzieren kann - und dass sie weiter vom Rückenwind profitiert, den er seit den Sondierungen für eine Jamaika-Koalition im Bund spürt: »Die Leute merken, dass wir für viele Fragen gute Antworten haben und das Personal, um sie umzusetzen.«

Schwer wird es für die Partei mit ihren derzeit 1620 Mitgliedern dennoch. Bei der Bundestagswahl landete sie in Sachsen bei 4,6 Prozent; bei der Landtagswahl 2014 sah es lange ähnlich aus, bevor Wahlkreise in den Großstädten das Blatt zum Guten wendeten. Von Überlegungen, sich im nächsten Jahr auf diese Kernwähler zu konzentrieren, hält Günther aber wenig. »Natürlich müssen wir in den Städten wieder zulegen, aber wir können dort allein nicht gewinnen«, sagt er. Neben Bürgern in Mittelstädten wie Freiberg, Görlitz oder Plauen will er auch Dorfbewohner umwerben, bei denen grüne Konzepte etwa zum Nahverkehr auf offene Ohren stießen. Sorge, die Grünen könnten auf dem Land nur als die Partei wahrgenommen werden, die den Wolf schützt, hat Günther nicht. »Das ist eine Pseudodebatte«, sagt er. Selbst für Schäfer sei der Wolf »nur eines von vielen Problemen«. Dafür teilten viele Menschen mit seiner Partei die Überzeugung, dass das Artensterben gestoppt werden müsse: »Hier geht um nicht weniger als den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen.«

Falls die Grünen den Sprung in den Landtag schaffen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie auch vor der Frage einer Regierungsbeteiligung stehen. Umfragen deuten darauf hin, dass jenseits einer Regierungsbeteiligung der AfD nur ein CDU-geführtes Bündnis dreier Parteien nach Art der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt eine Mehrheit hätte. Günther hält das für ärgerlich: Nach fast drei Jahrzehnten CDU-Regierung herrschten in Sachsen »verkrustete Verhältnisse«, die aufgebrochen werden müssten. Sein »Plan A« einer Regierung ohne CDU scheint aber in weite Ferne gerückt. Wahrscheinlicher ist, dass die Grünen erneut vor der Frage stehen, ob sie mit der CDU regieren wollen. Vor vier Jahren stimmte die Basis nach Sondierungen am Ende dagegen - weshalb Frontfrau Antje Hermenau, die ein schwarz-grünes Bündnis als »Koalition für Fortgeschrittene« beworben hatte, die Partei verließ.

Günther könnte sich einen erneuten Anlauf vorstellen: »Wenn es ohne uns im Land nicht ginge, müssten wir hart verhandeln und können uns keinen schlanken Fuß machen«, sagt er; die Grünen seien »bereit, Verantwortung zu übernehmen.« Allerdings nicht ohne einschneidende politische Korrekturen. So müsse sich Sachsens CDU von ihrem verantwortungslosen Rechtskurs verabschieden. Wie schon bei den Sondierungen mit der CDU 2014 ließen sich die Grünen »nicht mit einer Nische abspeisen, in der wir keinem weh tun«.

Bis sich die Frage stellt, muss Günther zunächst beweisen, dass der Wechsel an der Fraktionsspitze tatsächlich für Rückenwind sorgt. Gelingt das, könnte er sich auch vorstellen, an vorderer Stelle in den Landtagswahlkampf zu ziehen: »Meine Bereitschaft habe ich erklärt.« Er wäre indes allenfalls die Nummer 2: Der Spitzenplatz ist bei Sachsens Grünen für eine Frau reserviert.

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