Am Anfang Mord
Rainer Klis: »Steinzeit«, eine dramatische Männergeschichte
Der Mann, der sich zu Beginn des Romans mit einem Mord in die Steinzeit verabschiedet, ist eine bemerkenswerte literarische Figur. Ein bisschen Hemingway, vor allem aber viel Rainer Klis, den diese Zeitung für ein anderes Buch von ihm nicht unberechtigt den »Hemingway aus Hohenstein-Ernstthal« genannt hat. In »Steinzeit« gibt es eine archaische Männerwelt, in der Taten und Moral unablösbar eins sind, wo in der von Egoismus und Verrat aufgerauten Welt eine Freundschaft unter Männern einen ewig währenden Schutz gibt. Realist wie Klis ist, sieht er die Freundschaft heutzutage harten Prüfungen ausgesetzt. Wer sie nicht besteht, den lässt der Autor in einen Revolverlauf blicken. So viel Kühnheit des Erzählens gab es in einem Klis-Roman noch nie. Es ist nicht der erste Roman des Einundfünfzigjährigen, mit dem er jetzt - spät, aber nicht zu spät - beim renommierten Rowohlt Berlin Verlag angekommen ist. Sein Start in die Literaturszene erfolgte vor mehr als zwanzig Jahren mit zwei Bänden literarischer Miniaturen, die sich an Daniil Charms orientierten und einen präzisen Blick für Abgründe und Absurditäten verrieten. Die Wende im Herbst `89 und die ersten Jahre danach ließ er als Autor aus, wechselte die Seite, betrieb einige Buchhandlungen und meldete sich erst Mitte der Neunziger wieder mit Erzählungen und Reportagen von seinen Reisen zu den Indianern Nordamerikas (Foto: Sewel Kills). Inzwischen waren die Züge zu großen Verlagen abgefahren. Seine Romanmanuskripte sammelten Absagen, bis der Leipziger Verlag Faber & Faber zugriff. Schon in »Der Abend des Vertreters« und »Nacht der Kavaliere« (beide Faber & Faber) zeigte Klis' Interesse an Lebensgeschichten, die sich im Trubel der deutschen Einheit neu finden und fortsetzen. Dass er dies mit geschulter Sprache - immerhin gehört er zu den Absolventen des ersten Leipziger Literaturinstituts - in realistischer Manier zu erzählen vermochte, änderte nichts daran, dass die Aufnahme dieser Bücher begrenzt und der Autor literarisch unter Wert geschlagen blieb. So etwas kommt nicht nur einmal vor im deutschen Literaturbetrieb. - Jetzt also, jenseits der Fünfzig vom sächsischen Hohenstein-Ernstthal aus ein neuer Start ins literarische Leben der Bundesrepublik. Wolfram Meister, die Erzählerfigur aus »Steinzeit«, ist Teil einer Freundschaft, die er im Roman als »gleichschenkliges Dreieck« beschreibt. Doch möglicherweise übersieht er dabei bereits die Risse. Hassan, eigentlich Hans-Hasso, ein Lebenskünstler und beruflich erfolglos, ist abgehängt. Die Kuba-Reise müssen ihm die beiden Freunde finanzieren. Ausgerechnet dieser Luftikus ist es, der dem Erzähler rät, gegenüber Frauen vorsichtig zu sein. Die hätten es - wenn es nach Liebe aussehe - nur auf das Geld der Männer abgesehen. Und Geld hat Wolfram Meister. Am Ende sind es fünf Millionen. Er hat aus einem Bauarbeiterwohnheim mit Glück und Fleiß ein Vier-Sterne-Hotel gemacht, neuerdings mit Sauna, Schwimmbecken und Frigidarium. Dabei scheint der fünfzehn Jahre jüngeren Nelli, die ihm als Arbeitsuchende ins Hotel geschneit kam und schnell den Single vor dem Austrocknen seiner Gefühle rettet, durchaus zu trauen - aber der Mann denkt wegen der Einflüsterungen seines Freundes bei Liebe zuerst an eine feindliche Übernahme. Die feindliche Übernahme seines Geldes. Weil es in der Steinzeit kein Privateigentum gab, weshalb es zwischen Männern und Frauen noch funktioniert hat - so jedenfalls die Erzähler-Philoso- phie -, entschließt er sich, das Hotel seiner Geliebten zu verkaufen. Banken reichen umstandslos Kredite und der Deal lässt sich drehen. Alles vom Mann betrieben in der Hoffnung, beide hätten nun bald annähernd denselben Kontostand und ihre Liebe werde frei. Jetzt noch die Frau ein halbes Jahr allein mit dem Hotel lassen, dann zurückkehren und feststellen, ob sie die Probe bestanden hat oder ob inzwischen ein anderer in ihrem Bett liegt. Meister setzt sich derweil ab nach Lappland, erfährt auf Flechten weichem Boden steinzeitliches Glück im Nest einer Sami-Familie. Als er gerade dabei ist, sich nach seiner geliebten Frau zu sehnen, bekommt er per Satellitentelefon die schlimme Nachricht, dass Nelli die Probe nicht bestanden hat. Jetzt greift er zum Revolver und muss ihn gegen einen Freund richten. Welcher, das ist die Pointe dieses spannend erzählten Romans. »Steinzeit« bietet so vieles, was ein gutes Buch braucht. Die spannend erzählte Geschichte beginnt mit dem Ende. Einer ist tot und der Leser weiß nicht, wer es ist. Danach die Vorgeschichte in Rückblenden. Alles mit Tempo erzählt und doch nicht ohne Nebenstränge, die zum städtischen Rotarierclub und zu einer Bildungsreise für Liebhaber der Zigarre nach Kuba führen. Dass hinter der Roman-Handlung die Werte der Freundschaft verhandelt und ihre Gefährdungen bei sozialem Auseinanderdriften durchgespielt werden, gibt der Unterhaltung mehr als einen guten Grund. Nicht alles ist schlüssig. Die Reibung an Goethes »Wilhelm Meister« und der darin praktizierten Turmgesellschaft wirkt wie ein Anspruch, der nicht so recht eingelöst ist. Übrig bleiben davon ein kleines Widmungszitat, entlehnt bei Goethe, und die Namensgebung Wolfram Meister. Anderes dagegen ist zu schlüssig. Die Mutmaßung der Hauptfigur, sie könne im Zweifelsfall die Liebe verpassen, schleicht sich sehr oft in den Roman, statt dass sie einfach tut, was sie glaubt, tun zu müssen. Auch steht dem subtilen Einfühlungsvermögen des Autors in echte Männer nicht das gleiche in seine Nelli gegenüber. Die nimmt etwas rätselhaft den Verkaufsplan ihres Geliebten hin, ohne weiblich-energischen Protest. Denn immerhin ist nicht das Hotel, sondern sie verkauft worden. Anmerkungen, die an der Wertung, mit Klis' »Steinzeit« einen herausragenden Roman aus der ...
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