• Politik
  • Europäische Abschottungspolitik

»Schrumpfende Handlungsmöglichkeiten«

Die Hilfsorganisation medico international kritisiert in ihrem Jahresbericht die europäische Abschottungspolitik

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 3 Min.

Um es gleich vorweg zu nehmen, medico international sieht im Rückblick auf das vergangene Jahr wenig Gründe, Erfolge zu feiern. Die vielen und andauernden Krisen zwingen die Hilfsorganisation, immer mehr Nothilfe zu leisten. Für die anderen Ziele wie Emanzipation, Partizipation und Gerechtigkeit bleiben wenig Mittel. Die Jahrespressekonferenz am Freitag in Berlin stand deshalb unter der Überschrift »schrumpfende Handlungsmöglichkeiten«. Geschäftsführer Thomas Gebauer sagte dort, die Hilfsorganisation könne »dem Ausmaß an Ungleichheit und der daraus erwachsenden Gewalt nicht mehr beikommen«. Scharfe Kritik äußerte Gebauer auch an der deutschen und europäischen Außenpolitik, die auf die Stabilisierung des Status quo und die Absicherung von Privilegien ausgerichtet sei, und nicht auf Strukturpolitik und Ausgleich.

Besonders dramatisch zeigt sich für medico die Situation in Syrien. In den vergangenen zwölf Monaten musste die Hilfsorganisation viele ihrer Hilfsprojekte mit Partnern vor Ort einstellen, erklärte Till Küster, Projektkoordinator für Syrien. Seit 2011 unterstützte medico international Gruppen in kurdischen Gebieten, die lokale Strukturen aufzubauen oder eine öffentliche Gesundheitsvorsorge leisten. Aber mit dem türkischen Einmarsch in Afrin im März sei die Hilfsorganisation vor allem damit beschäftigt gewesen, die Nothilfe aufrecht zu halten. Wie auch in Ost-Goutha, wo medico Bildungs- und ein Frauenprojekt unterstützte, oder in Süddamaskus bei der Arbeit mit palästinensischen Flüchtlingen, ginge es nur noch darum, Grundbedürfnisse zu decken. Nachdem in Afrin gezielt das von medico unterstütze Krankenhaus bebombt wurde und Unterrichtsräume angegriffen wurden, die dazu als Schutzräume genutzt wurden, sei die Organisation »an Grenzen gestoßen, was wir mit humanitärer Hilfe leisten konnten«, beklagt Küster.

Gebauer warnte die Bundesregierung eindringlich vor einem »Frieden ohne Gerechtigkeit in Syrien, um die syrischen Flüchtlinge aus Deutschland dorthin wieder zurückzuschicken.« Dies dürfe nicht mit Hilfsmaßnahmen unterstützt werden.

So stellt medico auch im 50. Jahr der Organisation Forderungen an die Politik: Entwicklungszusammenarbeit darf sich nicht an den Interessen Deutschlands orientieren. Mit »Perspektive Heimat« und »Starthilfe Plus« hätten das Entwicklungs- und das Innenministerium Programme auf den Weg gebracht, die das Ziel haben, möglichst viele Flüchtlinge wieder loszuwerden, kritisiert medico. Irak und Afghanistan gehören zu den Zielländern geförderter Rückkehr, obgleich die Sicherheitslage dort äußerst schlecht ist. Und auch über die Möglichkeit für Rückführungen nach Syrien, wo immer noch Krieg herrscht, werde mittlerweile diskutiert.

Wie erfolgreich die Abschottungspolitik der Europäischen Union bereits ist, zeigt sich auch an der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Organisation in Berlin an diesem Samstag. So konnte ein Mitarbeiter eines Partners aus Afghanistan die Einladung nicht wahrnehmen, da er kein Visum bekam. Die deutsche Botschaft in Kabul stelle keine Visum mehr aus, erklärt medico-Pressesprecherin Katja Maurer. Und wer die kostspielige Reise nach Indien in die dortige Botschaft antritt, hat auch dort keine Garantie, ein Visum zu bekommen. »Nun müssen wir wieder für unsere Partner sprechen. Da waren wir schon einmal viel weiter; es konnten Betroffene von ihre Problemen selbst erzählen.«

Geschäftsführer Gebauer zeigt sich für die Zukunft allerdings auch optimistisch: Ganz passend zum Motto der Jubiläumsfeier »die Welt ist groß und Rettung lauert überall« freut sich Gebauer, dass die Unterstützung für medico jährlich wachse, allein die Fördermitgliedschaften stiegen 2017 um zehn Prozent. Nach eigenen Angaben unterstützte die Organisation im vergangenen Jahr etwa 120 Projekte in 30 Ländern mit knapp 13 Millionen Euro gefördert. Die Spendeneinnahmen gingen leicht auf 4,6 Millionen Euro zurück. Dafür stiegen die Zuschüsse öffentlicher Geldgeber um rund 1,5 Millionen auf rund sieben Millionen Euro.

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