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  • Sparpolitik in Griechenland

Noch lange nicht Schluss

Folgen der Sparpolitik sorgen weiter für Spannungen in Griechenland. Am Mittwoch wird im ganzen Land gestreikt

  • Elisabeth Heinze, Thessaloniki
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Änderung des Streikrechts, »das heiligste Recht der Arbeiterklasse«, wie es der Parteichef der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), Dimitris Koutsoumbas nannte, war eine der umstrittensten Regelungen des letzten Reformpakets. Selbst der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos räumte ein, dass er die Maßnahme selbst nicht gutheiße. Nach der neuen Regelung müssen nun 50 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder einem Ausstand zustimmen. Das Gesetz passierte im Januar das Parlament.

Trotz dieser neuen Hürde für Arbeitskämpfe findet am Mittwoch, dem 30. Mai, landesweit ein 24-stündiger Generalstreik in Griechenland statt. Offensichtlich fällt es noch immer beim »gemeinsamen Kampf gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Überbesteuerung« nicht schwer, branchenübergreifend Mehrheiten zu finden und so temporär die Infrastruktur des Landes lahmzulegen. Laut einer Meinungsumfrage des Meinungsforschungsinstituts MRB denken 90 Prozent, dass die falsch gestalteten Memoranden die Wirtschaftskrise verschlimmert haben. Die Bevölkerung und auch Unternehmer haben unter den Gesetzesänderungen und Steuererhöhungen der Reformprogramme stark gelitten. Nicht wenige zogen mit ihren Unternehmungen oder Lebensplänen ins europäische Ausland. Andere protestieren weiter, wie vor zwei Wochen die Rentner. Die durchschnittlichen Renten liegen laut der Zeitung »Kathimerini« bei etwa 800 Euro - und verkleinern sich noch einmal um zwölf bis 14 Prozent.

Am dem Streik beteiligen sich nun die Dachgewerkschaft der Privatangestellten GSEE, die Gewerkschaft der Staatsangestellten (ADEDY), die Seeleutegewerkschaft PNO, die kommunistische Gewerkschaft PAME und die Gewerkschaft der Fluglotsen. Flugausfälle und Verspätungen sind angekündigt. Auch die Angestellten der öffentlichen Verkehrsmittel der Städte legen die Arbeit nieder sowie Gymnasiallehrer und Ärzte, Rechtsanwälte und Händler. Inzwischen kündigten große Medien an, ihre Dienste auszusetzen. Der Zeitpunkt ist günstig: direkt nach dem langen orthodoxen Pfingstwochenende, vor dem nächsten großen Gesetzespaket, das am 9. Juni durch das Athener Parlament gehen soll.

Seit acht Jahren untersteht Griechenland nunmehr der Aufsicht der Gläubigerinstitutionen, der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Euro-Stabilitätsmechanismus ESM und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Fest steht, dass die Regierung unter SYRIZA die Verpflichtungen im Vergleich zu den Vorgängern am ehesten umgesetzt hat. Als »erfolgreich abgeschlossen« gilt das inzwischen dritte Programm am 20. August in der Lesart der Regierung vermutlich, wenn erstens kein viertes Programm folgt und wenn zweitens eine sukzessive Selbstbestimmung mit konkreten Schuldenerleichterungen einhergeht. Das kann gelingen: Die Gläubiger erklärten sich beispielsweise bereit, von den noch über 80 umzusetzenden Maßnahmen mindestens zehn in die Zeit nach dem Memorandum zu verschieben. Doch auch wenn der Ausstieg gelingt, für die Streikenden ist das kein Grund zur Freude.

»Die Erfolgsgeschichte eines ›sauberen Abgangs‹ aus dem Memorandum, die die Regierung kunstvoll herstellt, ist wertlos durch erhöhte Aufsicht durch die Gläubiger nach August. Sie fällt vollends zusammen durch die Maßnahmen, die bis 2020 und 2060 vorgesehen sind«, erklären die Gewerkschaften GSEE und ADEDY in ihrem Aufruf.

Tatsächlich sind bereits Verpflichtungen für die Zeit nach dem dritten Memorandum beschlossen, darunter eine weitere Rentenkürzung und die Senkung der steuerfreien Einkommensgrenze von etwa 8600 auf 5600 Euro ab dem Jahr 2020. Eine lange Reihe von Kürzungen beklagen die Angestellten des Privatsektors, ihrer Einschätzung nach ist in der Branche die Arbeitslosigkeit um 30 Prozent gestiegen.

Mit dem dritten Memorandum seien Stellen abgebaut, Angestellte degradiert und Arbeiterrechte ausgehöhlt worden. Den Angestellten des Öffentlichen Dienstes wurde der Lohn nach eigenen Angaben um bis zu 40 Prozent gekürzt. Auch das dreizehnte Monatsgehalt wurde beschnitten, der Zuschlag für unhygienische Berufe wurde viele Berufsgruppen gestrichen. Ein weiterer Personalabbau steht zu befürchten, eine Evaluierung der über 565 000 Beamten steht aus. Vor dem Beginn der Amtszeit von Alexis Tsipras im Jahr 2015 wurde der öffentliche Sektor bereits um ein Viertel gekürzt.

All das hätte die Angestellten in »einen Zustand der Verelendung« versetzt, so die Gewerkschafter. Sie verlangen den gesetzlichen Schutz des ersten Wohneigentums. Indes sollen die Zwangsversteigerungen von Immobilien vorangetrieben werden. In Griechenland lebt nur die Minderheit der Bevölkerung zur Miete. Besitzer, die den Kredit nicht bedienen können, sind so von Räumung bedroht und könnten in den nächsten Jahren ihre Wohnung verlieren.

Im Wachstumsplan von Tsipras, über den nun im Juni abgestimmt werden soll, findet sich neben Plänen für noch ausstehende Investitionen, unter anderem mit Hilfe weiterer Privatisierungen, auch der Abbau sogenannter notleidender Kredite. Obgleich der Einfluss der EU und internationaler Organisationen kleiner werden könnte - die Folgen der Sparpolitik sorgen weiter für Spannungen im Land. Früher konnten durch Streiks bedeutsame Ziele errungen werden - eine Erfolgsgeschichte, auf die griechische Gewerkschaften zurückblicken, wenn sie sich heute dagegen wenden, dass die Reformen einfach durchgewunken werden.

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