- Politik
- Vor den Wahlen in der Türkei
»Keine Erdogan-Feindlichkeit, sondern Antifaschismus«
Der inhaftierte Präsidentschaftskandidat der pro-kurdischen HDP Selahattin Demirtas über seinen Wahlkamof hinter Gittern
Seit Ihrer Inhaftierung wegen Terrorvorwürfen sind eineinhalb Jahre vergangen. Wie geht es Ihnen, und wie sind die Haftbedingungen?
Trotz all der Schwierigkeiten geht es mir gut und meine Stimmung ist positiv. Wir sind zu zweit in einer kleinen Zelle. Wir dürfen Radio hören, fernsehen und Zeitungen lesen. Eine Stunde in der Woche können wir unsere Familien sehen. Und wöchentlich haben wir das Recht auf insgesamt vier Stunden Sport.
Sie kandidieren bei den Präsidentenwahlen, obwohl sie inhaftiert sind. Können Sie überhaupt Wahlkampf führen?
Ich habe hier nicht allzu viele Möglichkeiten. Die Wähler erreiche ich eher mit kleinen Botschaften, die ich ihnen über meine Anwälte zukommen lasse. Den Wahlkampf führen Millionen von Freunden, die da draußen als Freiwillige tätig sind.
Würden Sie in einer Stichwahl dazu aufrufen, den Gegenkandidaten von Amtsinhaber Erdogan zu wählen – egal, wer es ist?
Ich bin derjenige, der beim zweiten Wahlgang dabei sein wird. Daran glaube ich und setze Vertrauen in unser Volk.
Sind die am 24. Juni zeitgleich stattfinden Präsidenten- und Parlamentswahlen aus Ihrer Sicht die letzte Chance für die Demokratie in der Türkei?
Nein, sie sind keineswegs die letzte Chance. Der Kampf um Demokratie wird in jedem Fall weitergehen und eines Tages wird er unweigerlich siegreich beendet werden.
Präsident Erdogan sagt bei seinen Reden immer wieder, das einzige Ziel seiner Kontrahenten sei es, ihn zu stürzen. Geht es Ihrer Meinung nach auch nur darum, Erdogan zu ersetzen?
Nein, darum geht es mir nicht. Mir geht es darum, die Demokratie gegen eine Ein-Mann-Herrschaft zu verteidigen. Das ist keine Erdogan-Feindlichkeit, sondern Antifaschismus.
Was für eine Zukunft sehen Sie für die Türkei, sollte die Opposition bei der Wahl gegen Erdogan und seine AKP scheitern?
Dann werden wir einen noch stärkeren politischen Kampf führen. Wir werden versuchen zu verhindern, dass der Faschismus institutionalisiert wird und der Gesellschaft noch mehr Schaden zufügt. Die AKP-Regierung ist nicht mehr imstande, Positives für die Türkei zu leisten. So kann die Türkei leider nur verlieren.
Mehrere Oppositionsparteien haben ein Bündnis für die Wahl am 24. Juni geschlossen. Warum ist Ihre HDP nicht dabei?
Der gemeinsame Nenner der anderen Parteien ist der türkische Nationalismus. Wir als HDP haben dagegen die Vielfalt der Kulturen und Identitäten als Grundlage. Wir sind keine Nationalisten. Die anderen Parteien tun sich schwer, diese Seite von uns zu akzeptieren. Aber es wäre natürlich besser für die Türkei gewesen, wenn wir imstande gewesen wären, einen Demokratie-Block mit starken Grundsätzen zu bilden.
Wie hat das Bündnis der Regierungspartei AKP mit der ultranationalistischen MHP jene Kurden beeinflusst, die zuvor die AKP gewählt haben?
Die Kurden machen ohnehin schon deutlich, dass sie nicht auf diesen rechten faschistischen Block angewiesen sind. Die Auswirkungen werden wir auch an den Wahlurnen sehen. Die AKP hat die Unterstützung der Kurden nun vollkommen verloren.
Bei den Parlamentswahlen 2015 haben Sie betont, dass die HDP eine Partei für die ganze Türkei ist. In der Zwischenzeit hat sich der Kurdenkonflikt im Südosten der Türkei wieder zugepitzt. Hat die HDP dadurch vor allem Stimmen aus dem Westen des Landes verloren?
In der Türkei gibt es keine Probleme zwischen Kurden und Türken. Es gibt ein Problem zwischen Kurden und dem Staat sowie der Regierungspolitik. Die Probleme gibt es, weil die Regierung die Kurden gewaltsam unterdrückt und nicht berücksichtigt. Aber um die daraus resultierenden politischen Folgen der HDP zuzuschreiben, betreibt sie mit Terroranschuldigungen Propaganda, die von Medien unterstützt wird. Natürlich hat das einen gewissen Effekt im Westen der Türkei. Also versuchen wir, diese falsche Wahrnehmung zu ändern und die Unterstützung der Wähler wiederzugewinnen.
Kritiker werfen der HDP, sie distanziere sich nicht genug von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Wir sind eine legale Partei, die vom Volk gewählt worden ist und die das Volk vertritt. Wir vertreten nicht die PKK, sondern diejenigen, die uns gewählt haben. Und was Gewalt betrifft, so ist unsere Haltung ganz klar: Wir sind dagegen und verteidigen sie nicht. Gleichzeitig sind wir dagegen, dass die Regierung durch Anwendung von Gewalt das Kurdenproblem auf ein Terrorproblem reduziert.
Sie waren stets einer der schärfsten Gegner von Erdogans Präsidialsystem, das mit den bevorstehenden Wahlen eingeführt werden soll. Was würden sie als erstes tun, sollten sie die Präsidentenwahl gewinnen?
Ich werde Vorreiter für eine neue Verfassung sein. Ich werde den Ausnahmezustand aufheben und schleunigst demokratische Reformen einführen. Und ich werde den Weg für den Übergang zurück in ein parlamentarisches System ebnen. dpa/nd
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