• Politik
  • »Tag der deutschen Zukunft« in Goslar

Flüssigbeton stoppt offenbar Neonazis

3000 Menschen demonstrierten in Goslar gegen rechten »Tag der deutschen Zukunft«

  • Reimar Paul, Goslar
  • Lesedauer: 4 Min.

Mindestens 3000 Menschen - ausnahmsweise waren sich Veranstalter, Polizei und Beobachter bei der Zählung einig - haben am Samstag in Goslar gegen den »Tag der deutschen Zukunft« protestiert. Zu diesem hatten unter anderem rechtsextreme Kameradschaften und die Partei »Die Rechte« bundesweit aufgerufen, sie brachten aber gerade mal 265 Neonazis auf die Beine.

Gegen 10.30 Uhr setzte sich der vom Goslarer Bündnis gegen Rechtsextremismus organisierte »Marsch für Demokratie« in Bewegung. »Goslars Zukunft bleibt bunt. Kein Platz für Rassismus«, stand auf dem Transparent, das Bündnismitglieder an der Spitze des Zuges hochhielten. In den ersten Reihen hatte sich Prominenz aufgestellt: Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk (CDU), Landtags- und Bundestagsabgeordnete, auch Sigmar Gabriel. »Die rechtsradikalen Gruppen, die sich heute in meiner Heimat Goslar treffen, sind nicht Deutschland«, twitterte der Ex-Außenminister und frühere SPD-Chef: »Im Gegenteil: WIR sind Deutschland.«

Dahinter schritten Gewerkschafter in gelben Warnwesten, alte und viele junge Leute, auch einige Familien mit Kindern. Einige Demonstranten reckten selbst gebastelte Schilder in die Höhe. »Gegen Nazis«, war darauf zu lesen, oder: »Gegen jeden Rassismus!« Über dem Zug wehten »Pace«-Flaggen, Parteifahnen von Linkspartei und SPD, ein Banner der Arbeiterwohlfahrt. Kirchenglocken bimmelten zur Unterstützung, in einigen Schulen hatten Kinder die Fenster mit den Worten »Wir sind bunt« beklebt.

Antifa-Gruppen, die in Göttingen und anderen norddeutschen Städten kräftig zu den Protesten mobilisiert hatten, waren in der Menge zunächst kaum auszumachen. Ein Grund: Rund um Goslar hatte die Polizei Sperren errichtet. Beamte winkten Busse und Autos heraus, kontrollierten Fahrzeuge und Insassen. Mehr als 400 Gegenstände seien dabei sichergestellt worden, sagte ein Polizeisprecher, darunter »diverse Schutzbewaffnungen und Stöcke«. Viele auswärtige Demonstranten erreichten Goslar so erst nach Beginn der Demonstration.

Einige Nazi-Gegner beteiligten sich zudem nicht an dem Protestzug, sondern versuchten, auf die Marschstrecke der Neonazis im Stadtteil Georgenberg zu gelangen. Ein paar Rangeleien, 19 Platzverweise, zwei Ingewahrsamnahmen - so lautete hier die Bilanz der Polizei. In zwei Fällen setzten Beamte größere Gruppen linker Demonstranten vorübergehend fest. Aktivisten aus Hildesheim berichteten, in ihrer Stadt habe der Staatsschutz Busunternehmen abtelefoniert, die Vermietung eines vom AStA gecharteter Bus sei daraufhin von der Firma storniert worden. Erhärten ließ sich der Vorwurf zunächst nicht.

Zudem gab es Kritik an Stadt und Polizei, weil eine von der Grünen Jugend und der Sozialistischen Jugend »Die Falken« geplante Demonstration in »Hör- und Sichtweite« der Nazis nicht genehmigt worden war. Dazu Max Lucks, Sprecher der Grünen Jugend: »Es ist ein Skandal, dass die Nazis halb Goslar für sich einnehmen, aber der antifaschistische Gegenprotest von staatlicher Seite bekämpft wird.«

Der Sammelpunkt der Nazis nördlich des Bahnhofs füllte sich nur schleppend. Als einer der ersten Rechtsextremisten zeigte sich am Mittag Dieter Riefling. Mehrfach vorbestraft, gilt der ehemalige Kader der bereits 1995 verbotenen Freiheitlichen Arbeiter Partei (FAP) und Mitgründer mehrerer neonazistischer Kameradschaften als »Erfinder« des »Tages der deutschen Zukunft«. Das erste Event dieser Art gab es 2009 in Pinneberg, es folgten weitere Treffen in verschiedenen norddeutschen Städten. Seit 2014, als Dresden Veranstaltungsort wurde, gilt der »Tag der deutschen Zukunft« als bundesweites Vernetzungstreffen der Nazi-Szene.

Zum Abschluss des letztjährigen Aufmarsches in Karlsruhe war verkündet worden, dass das zehnjährige Jubiläum in der »Reichsbauernstadt« Goslar stattfinden solle. »Reichsbauernstadt« war der nationalsozialistische Titel für Goslar in den Jahren 1936 bis 1945. Viele Rechtsextremisten reisten nach Goslar mit Zügen an. Einige wurden dabei offenbar aufgehalten: Auf der Bahnstrecke zwischen Goslar und Halberstadt in Sachsen-Anhalt hatten Unbekannte am Vormittag nach Angaben der Bundespolizei nahe Ilsenburg Kabel in einem Kabelschacht in Brand gesetzt, einen brennenden Reifen ins Gleis gelegt und Beton auf eine Schiene gegossen. Die Strecke wurde für mehrere Stunden gesperrt. Ob der Anschlag mit den Veranstaltungen in Goslar im Zusammenhang stand, war auch am Sonntag noch unklar: Am Einsatzort fanden die Beamten nach Angaben eines Sprechers einen Zettel mit der Aufschrift »Stellt den Bahnverkehr ein«. Die Buchstaben seien aus Zeitungen ausgeschnitten worden, hieß es.

Zwei Stunden später als angekündigt und abgeschirmt von der Polizei gingen die Nazis los. Einige schwenkten schwarz-weiß-rote Fahnen. Auch ein Transparent, das die Freilassung der kürzlich inhaftierten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck forderte, war zu sehen. Dass die Rechtsextremisten überhaupt demonstrieren durften, war im Vorfeld auf Kritik gestoßen. Die Stadt Goslar hätte die Versammlung untersagen müssen und den Nazis allenfalls eine stationäre Kundgebung gestatten sollen, erklärte etwa Sebastian Wertmüller vom DGB: »Da trifft sich die Avantgarde der militanten Naziszene in Goslar, eine Versammlung von Holocaustleugnern und Gewalttätern, und die Versammlungsbehörde kann kein Gefahrenpotenzial entdecken.«

Im kommenden Jahr soll der »Tag der deutschen Zukunft« im sächsischen Chemnitz stattfinden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.