Verwaltungsverdrossene Grundgesetzverweigerer

In Brandenburg drangsalieren 600 »Reichsbürger« die Behörden - denen gibt ein Handbuch Aufklärung und Rat

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

Der am letzten Sonntag in der ARD gezeigte »Tatort«-Krimi »Freies Land« kam wie bestellt: Mussten darin doch zwei Münchner Kommissare einen Mordfall im Milieu der sogenannten Reichsbürger aufklären. Nun sei die Szenerie einer derartigen Kommune, die sich auf einem abgelegenen Bauernhof eingeigelt hat, die örtlichen Behörden schikaniert und mit Klagen überhäuft und Polizisten für illegitim erklärt und bedroht, in Brandenburg kaum vorstellbar. Doch aus Sicht von Dirk Wilking, Mitarbeiter des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung, hat der Film das gesellschaftliche Phänomen jener Leute, die die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Verfassungs- und Rechtsordnung und ihrer Repräsentanten leugnen, gut getroffen.

Wilking ist Herausgeber der erweiterten 3. Auflage des Handbuchs »Reichsbürger«, das am Dienstag im Potsdamer Innenministerium vorgestellt wurde. Es ist ein Ratgeber, gedacht für Mitarbeiter der Verwaltungen im Land, die sich von diesen Personen zum Teil massiv bedrängt, beschimpft und bedroht sehen. Er vermittelt Aufklärung über Motive und Hintergründe, die dem Handeln dieser zunächst als harmlose Irre und Querulanten unterschätzten Leute zugrunde liegen, und konkrete Handlungsempfehlungen für all jene, die mit ihren Attacken konfrontiert sind. Die Nachfrage nach dem Buch ist groß, bundesweit. Die ersten beiden Auflagen waren binnen Tagen vergriffen. Die 300 Seiten starke Neuauflage wurde in 8500 Exemplaren gedruckt, 3500 Exemplare davon für Sachsen, das auch an der 2015 erschienenen Erstauflage maßgeblich beteiligt war.

Phänomen und Bedrohung

»Reichsbürger« oder »Selbstverwalter« leugnen, oft unter Bezug auf das frühere Deutsche Reich, die Existenz der Bundesrepublik und ihres Rechtssystems, sprechen ihren Repräsentanten die Legitimität ab und betrachten sich als außerhalb ihrer Rechtsordnung stehend.

Brandenburgs Verfassungsschutz befasst sich seit 2012 mit dem gesellschaftlichen Phänomen, beobachtet die extremistische Szene mit Schnittstellen zu Rechtsextremen.

In Brandenburg gibt es an die 600 »Reichsbürger«, in Sachsen 1300, bundesweit sind es rund 18 000.

Die Zahl der »Reichsbürger«-Delikte (Beleidigung, Amtsanmaßung, Bedrohung, Widerstand etc.) im Land stieg von elf (2012) auf 70 (2017), 2018 waren es bis Mai 17.

Seit 2016 wurde 25 »Reichsbürgern« in Brandenburg der legale Zugriff auf Schusswaffen entzogen, gegen 13 weitere läuft das Verfahren. Es geht um 39 Waffen.

Brandenburgs Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger warnte vor einer Unterschätzung der Gefahren, die von dieser als »extremistisch« eingeschätzten Personengruppe ausgehen. »Die Beschäftigung mit diesem wachsenden Milieu ist wichtig. ›Reichsbürger‹ und ›Selbstverwalter‹ propagieren ein verschwörungsideologisches Weltbild. Daraus entstehen oftmals Radikalisierungsprozesse, die zur totalen Ablehnung des Staates und seiner Organe führen. Auch Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung wird legitimiert.«

Wilking zufolge sind »Reichsbürger« derzeit eher keine terroristische Bedrohung und nicht per se rechtsextrem. »Aber sie sind extremistisch. Das sind keine Teenager, viele sind zwischen 40 und 50 Jahre alt und haben Lebenserfahrung. Zumeist sind sie nicht politikverdrossen, sondern verwaltungsverdrossen«, sagte er. Und die Szene habe Zulauf vor allem im Sog der Pegida-Bewegungen. »Die thematische Schnittmenge ist die Delegitimierung des Staates.«

»Reichsbürger« seien, anders als im »Tatort« vorgeführt, vor allem ein Männerphänomen, so Wilking. »Viele von ihnen haben gebrochene Familienbiografien, fühlen sich durch örtliches Verwaltungshandeln geschädigt.« Man finde unter ihnen Bedeutungssüchtige, Geschäftemacher, Querulanten, aber auch ernsthaft Überzeugte, psychisch Kranke, Betrogene, Verzweifelte und Träumer.

»Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich diese Menschen bis in den Bereich der Unzurechnungsfähigkeit in ihre Ideen hineinsteigern können«, sagte er. Und er erinnerte daran, dass 2016 beim Polizeieinsatz im fränkischen Georgensgmünd ein SEK-Beamter durch einen »Reichsbürger« erschossen wurde.

Für den »richtigen« Umgang mit Reichsbürgern finden sich goldene Re᠆geln, wie auf Seite 165: »Es ist sinnlos, mit Reichsbürgern zu diskutieren.« Und mit einem Zitat von Seite 113 erfreute »Tatort«-Kommissar Ivo Batic den Kollegen Leitmayr: »Jeder missionarische Eifer im Sinne einer Gegenreformation hat zu unterbleiben, er würde nur der Beruhigung des eigenen Gewissens dienen und die Problematik unnötig zuspitzen.«

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