Eine Klinik taumelt von Skandal zu Skandal

Niedersachsen: Hohe Sterberate bei Pankreas-Operationen in Oldenburg beschäftigt Landespolitik

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu lebenslanger Haft verurteilt, sitzt Niels H. in Oldenburgs Gefängnis. Dennoch schwebt sein Schatten in Niedersachsens drittgrößter Stadt noch immer über dem Klinikum, wo der Mann mit der Spritze kranken Menschen den Herztod brachte. Wer das Haus erwähnt, hört nicht selten: »Ach, das ist doch da, wo dieser gruslige Pfleger...« Nun sorgen Meldungen zu Vorgängen in jenem Krankenhaus wieder für Aufregung. Mutmaßlich zu hohe Sterberaten bei Operationen an der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) haben auch die Landespolitik aufgeschreckt.

Von 20 Patienten, die sich von April 2017 bis Februar 2018 einem komplizierten Eingriff an jenem Organ unterziehen mussten, sollen sechs gestorben sein, und weitere sechs Menschen hätten aufgrund schwerer Komplikationen nachoperiert werden müssen, berichtet der NDR und zitiert dazu einen Experten: Eine solche Sterblichkeit, immerhin 30 Prozent, und so viele Nachoperationen seien nicht tolerabel, betont Professor Jakob Izbicki vom Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, eines von drei Exzellenzzentren für Bauchspeicheldrüsen-OPs in Deutschland. Er rate den Oldenburgern, mit jenen Operationen zunächst einmal »innezuhalten«.

Akademisches Lehrkrankenhaus

Mit der Gründung des »Instituts zur Verpflegung kranker Hausarmer« begann 1784 die Geschichte der klinischen Versorgung in Oldenburg. In Baracken wurden die Patienten seinerzeit behandelt und untergebracht. Mittlerweile steht ihnen in der 163 000 Einwohner zählenden Stadt ein Klinikum mit 832 Betten sowie 2400 ärztlichen, pflegerischen und weiteren Mitarbeitern zur Verfügung. Rund 37 000 stationäre und 95 000 ambulante Behandlungen werden dort jährlich vorgenommen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts wird das Klinikum von der Stadt Oldenburg getragen. Es ist für die Frauen und Männer, die an Oldenburgs Carl-von-Ossietzky-Universität Medizin studieren, eines der akademischen Lehrkrankenhäuser. haju

Zumindest darf das Krankenhaus für sein Pankreas-Zentrum zurzeit nicht mit einem Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) werben. Ein solches wird von Kliniken gern gezeigt, soll es doch signalisieren: Hier erwartet die Patientinnen und Patienten eine Behandlung, die sich »an hohen Qualitätsstandards orientiert«. Um das Zertifikat zu behalten, müssen Krankenhäuser jährlich nachweisen, dass sie bestimmte fachliche Anforderungen für die Behandlung von Tumorerkrankungen erfüllen.

Nun habe die Krebsgesellschaft das Oldenburger Klinikum »gedrängt«, sein Zertifikat für das Pan-kreas-Zentrum zurückzugeben, vermelden Medien. Freiwillig sei das geschehen, und »vorsichtshalber« habe man auch das DKG-Zertifikat für das Darmkrebszentrum »ausgesetzt«, heißt es dagegen von Klinik-Vorstand Dirk Tenzer. Er spricht von 23 Prozent Sterblichkeitsrate bei den entsprechenden OPs. Das liege »im auffälligen, aber keinesfalls im außergewöhnlichen Bereich«, meint der Geschäftsführer.

In »gegenseitigem Einvernehmen« seien die Zertifikate zurückgegeben worden, erklärte DKG-Sprecherin Katrin Mugele gegenüber »nd«. Grund dafür: Sowohl im Bauchspeicheldrüsen- als auch im Darmkrebs-Zentrum des Klinikums seien »die nötigen fachärztlichen Voraussetzungen für viszeralchirurgische Behandlung«, also für spezielle OPs im Bauchraum, »derzeit nicht gegeben«. Für solche Eingriffe muss der jeweilige Chirurg, der sie vornimmt, eine spezielle Weiterbildung absolviert haben - sonst gibt es kein Zertifikat.

Mittlerweile hat die Deutsche Krebsgesellschaft auch geprüft, ob die entsprechenden Voraussetzungen in den Oldenburger Klinikzentren für Brust- und Prostatakrebs erfüllt sind. Die Ergebnisse lagen am Dienstag noch nicht vor. »Wir müssen bei einer Zertifikatsrückgabe auch gucken, wie es in den anderen Abteilungen aussieht«, so Katrin Mugele.

Sie berichtet: So ein Geschehen wie in Oldenburg ist kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr seien 30 Zertifikate aberkannt oder zurückgegeben worden. Es komme durchaus vor, dass Krankenhäuser aus wirtschaftlichen Gründen auf das Gütesiegel verzichten, weil damit auch Kosten verbunden sind durch die jährlichen Überprüfungen und Audits, also Untersuchungsverfahren.

Doch nicht allein Fragen zu Sterberaten und Zertifikaten bedrücken die Klinik. Zwischen Geschäftsführer Tenzer und Teilen der Ärzteschaft soll es Unstimmigkeiten geben. Auch ist die Rede von einem 18 Millionen Euro hohen Defizit, welches das Klinikum für sein Haushaltsjahr 2017 erwarte.

Die Vorgänge in Oldenburg beschäftigen jetzt auch Niedersachsens politische Ebene. Mit Blick auf die OP-Sterbefälle will Landessozialministerin Carola Reimann (SPD) dazu einen Bericht vom Klinikum haben. Über die Lage dort möge auch der Landtag informiert werden, wünschen sich FDP und Grüne, und aus der CDU kommen Rufe nach dem Staatsanwalt, der sich mit der Sterberate befassen solle. In den Reihen der SPD heißt es, die Sterberate sei zu hoch, man erwarte vom Klinikum mehr Transparenz.

Eine solche wünschen sich vermutlich auch Bürgerinnen und Bürger, die womöglich so etwas wie eine ausführliche Stellungnahme des Klinikums zur Sache erwarten. Stellungnahmen sind am Dienstag zwar zu finden auf der Internetseite des Krankenhauses, aber alle zu einem anderen Thema: zum mörderischen Pfleger Niels H.

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