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Den Völkermord benannt

Das Bild vom Juden und der Holocaust im DDR-Schulunterricht

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
War die DDR antisemitisch? Hat ihre Schule vierzig Jahre lang den Holocaust verschwiegen? War allein der kommunistische Widerstand Thema im Schulunterricht? Oder war nicht doch alles ganz anders und viel komplizierter?« Diese Fragen stellt sich der Journalist Matthias Krauß in seinem neuen Buch.
Er beantwortet sie auch, mit gleichermaßen einfachen wie einleuchtenden Mitteln. Krauß, der in Hennigsdorf nördlich von Berlin die Schule besuchte, kramte seine Lesebücher hervor und blätterte in seinen Heftern, schaute sich außerdem noch die Lehrpläne an. Dabei gelangt er zu einem Ergebnis, zu dem eigentlich jeder kommen muss, der diese Methode benutzt. Denn was behandelt wurde, war in der DDR viel genauer zentral vorgegeben als in der BRD üblich. Die Untersuchung von Krauß ist also weniger subjektiv gefärbt, als es vielleicht scheinen mag.
Friedrich Wolfs »Professor Mamlock« gehört zu den besten künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Judenverfolgung. Das Drama kam im Unterricht dran. Aber damit beginnt die Liste zum Thema erst. Krauß nennt Willi Bredels »Frühlingssonate«, Johannes R. Bechers »Ballade von den Dreien«, verweist auf Passagen in Anna Seghers »Das siebte Kreuz« und auf die Beschreibung eines Pogroms in Nikolai Ostrowskis »Wie der Stahl gehärtet wurde« ... Und er erinnert daran, dass in »Nackt unter Wölfen« von Bruno Apitz zwar der kommunistische Widerstand im KZ Buchenwald im Vordergrund steht. Der Roman baue aber darauf auf, dass die Häftlinge ein jüdisches Kind vor der SS verstecken. »Nackt unter Wölfen hatte wie kein zweites Werk den Vorwurf zu illustrieren, die Erinnerungskulte seien zu DDR-Zeiten auf den kommunistischen Widerstand reduziert gewesen«, schreibt Krauß. Dabei sprechen die Zahlen der ermordeten »Roten« für sich. Verengt sei der Erinnerungsfokus dagegen heute - »auf die Offiziersrevolte vom 20. Juli 1944, als Hitlers gehätschelte Vollstrecker bemüht waren, mit einem Attentat auf den "Führer" Großdeutschland und ihre eigenen Standesprivilegien zu retten«.
Kaum ein Schuljahr verging ohne Zeilen von Heinrich Heine. Freilich spielte die jüdische Herkunft des Dichters keine Rolle, räumt Krauß ein. Bei ihm jedenfalls war es so. Er sprach mit vielen, die ihm sagten, in der DDR nichts über den Holocaust gelernt zu haben. Das trifft sogar zu: Die DDR-Schule verschwieg den Holocaust tatsächlich, aber nur insofern, als der Begriff nicht verwendet wurde. Man sagte Völkermord. Die in der BRD gebräuchliche Bezeichnung Holocaust geht auf eine US-amerikanische Fernsehserie zurück. Antisemitische Einstellungen mag es vereinzelt gegeben haben. Der Staat DDR war nach Ansicht von Krauß jedoch nicht antisemitisch, sondern er verstand sich als antiimperialistisch. Eine kritische Sicht auf die Politik Israels gegenüber den Palästinensern sei noch längst kein Antisemitismus ist, betont er.
Das Buch ist nicht in einem wissenschaftlichen Stil geschrieben, sondern erfrischend feuilletonistisch gehalten. Es lebt von den Fähigkeiten des Matthias Krauß, der in Potsdam wohnt und arbeitet und dessen besondere Stärke als Journalist Politiker-Porträts und Analysen sind. Zu den Vorzügen seiner ebenfalls im Anderbeck Verlag erschienenen Angela-Merkel-Biografie zählt, dass er die CDU-Politikerin nicht platt runterschreibt, stattdessen seine Kritik aus einer fairen Beurteilung ableitet.
Krauß schaut genau hin. Er schont die DDR-Schule nicht. Er verhüllt keineswegs, was bei Louis Fürnbergs Gedicht »Abendgang« über den Vorabend der Befreiung Warschaus durch die Rote Armee verschwiegen wurde. Er sagt, dass Stalin die Landeerlaubnis hinter den sowjetischen Linien versagte, als britische Kampfflieger dem Aufstand der polnischen Heimatarmee zu Hilfe kommen wollten. Diese Ehrlichkeit, die keine Verklärung der DDR duldet, macht das Buch glaubwürdig, macht auch die These nachvollziehbar, dass die Juden die sowjetischen Truppen als Retter herbeisehnten. Als in Berlin kürzlich die Ausstellung »Das hat's bei uns nicht gegeben!" Antisemitismus in der DDR« eröffnet wurde, ging Krauß hin und informierte über sein Buch.

Matthias Krauß: Völkermord statt Holocaust. Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR. Anderbeck ...

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